Zu den unzureichend gebildeten "Risikoschülern" zählen in Deutschland rund 20 Prozent aller 15-Jährigen. Gemäß den PISA-Studien können sie höchstens auf Grundschulniveau lesen und rechnen und haben deshalb beim Eintritt in die Berufstätigkeit erhebliche Probleme. Wößmann geht in seiner Studie von einer Bildungsreform aus, die den Anteil der Risikoschüler innerhalb der kommenden zehn Jahre deutlich senkt. Die dadurch erzielten Wachstumseffekte in den kommenden achtzig Jahren vergleicht er dann mit dem prognostizierten Wirtschaftswachstum ohne Reform.
"Mit diesen weit in die Zukunft blickenden Betrachtungen betritt die Bertelsmann Stiftung bildungspolitisches Neuland", erläutert Dr. Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung. Doch genau wie in der Klimadiskussion sei ein langfristiger Betrachtungshorizont auch in der Bildung nötig: "Eine Bildungsreform braucht mehrere Jahrzehnte, bis sie in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt vollständig angekommen ist – ihre Wirkung kann deshalb auch nur langfristig beurteilt werden."
Den Berechnungen der Studie zufolge belaufen sich die Erträge einer Reform bis zum Jahr 2030 auf 69 Milliarden Euro und übersteigen so die jährlichen öffentlichen Bildungsausgaben im Elementar- und allgemeinbildenden Schulbereich. Bis zum Jahr 2074 erreicht das zusätzliche Wachstum die Summe von rund 1,75 Billionen (1.746 Milliarden) Euro und damit in etwa das Niveau unserer heutigen Staatsverschuldung. Im Jahr 2090 schließlich – dem Endpunkt der Langzeitbetrachtung – summieren sich die Erträge auf 2,8 Billionen (2.808 Milliarden) Euro. Das ist mehr als unser heutiges Bruttoinlandsprodukt (BIP) und entspricht etwa dem 28-fachen der jüngsten Konjunkturpakete. Dabei würden die Bundesländer abhängig von ihrer Bevölkerungszahl und ihrem heutigen Anteil an Risikoschülern von einer Reform sehr unterschiedlich profitieren. So könnte beispielsweise Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreiches Bundesland mit einem derzeit relativ hohen Anteil an Risikoschülern über 790 Milliarden Euro zusätzliches BIP bis zum Jahr 2090 erzielen.
"Die Studie macht deutlich, wie dringend das Problem der unzureichenden Bildung gelöst werden muss", unterstreicht Dräger. Die so genannten "Risikoschüler" kommen häufig aus sozial benachteiligten Familien oder haben einen Migrationshintergrund. "Bildung muss Chancengerechtigkeit schaffen", so Dräger, "nur dann sichert sie sowohl den gesellschaftlichen Zusammenhalt als auch unsere ökonomische Zukunftsfähigkeit. Allen politisch Verantwortlichen muss klar werden: Bildung lohnt sich – auch finanziell."
Die Bertelsmann Stiftung sieht in qualitativ guten frühkindlichen Bildungsangeboten und der individuellen Förderung jedes einzelnen Kindes den Schlüssel für eine erfolgreiche Reform. Auf diese Weise könnten Benachteiligungen ausgeglichen werden, frühkindliche Bildung legt zudem die Grundlage für spätere Lernprozesse. Ihre Reformvorschläge hat die Stiftung in einem Papier skizziert, das ebenso wie die Studie im Internet abrufbar ist. "Bildung ist eine langfristige und nachhaltige Investition in die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft", betont Dräger. Entscheidend sei, möglichst schnell mit den Reformen zu beginnen: "Jede weitere Verzögerung von wirksamen Reformen ist teuer – auch das zeigt die Studie."
Die Studie, Grafiken und die Reformvorschläge zum Download finden Sie in der rechten Spalte.
Downloads
- Was unzureichende Bildung kostet - Eine Berechnung der Folgekosten (1.9 MB)
- Ausgewählte Reformvorschläge: Die Zahl der Risikoschüler und -schülerinnen verringern (109 KB)
- Grafik: Folgekosten unzureichender Bildung durch entgangenes Wirtschaftswachstum (297 KB)
- Grafik: Schnelles Handeln zahlt sich aus - Erträge der Bildungsreform nach Dauer der Umsetzung (293 KB)
- Grafik: Zusätzliches jährliches Bruttoinlandsprodukt pro Kopf durch die Bildungsreform (271 KB)
- Grafik: Bildungs-Kompetenzen und volkswirtschaftliches Wachstum (274 KB)
- Grafik: Der Pro-Kopf-Effekt der Bildungsreform in den Bundesländern (252 KB)
- Grafik: Der Gesamteffekt der Bildungsreform in den Bundesländern (272 KB)