Mann und Frau sitzen vor einem PC

Können Online-Stellenanzeigen helfen, zukünftig relevante Kompetenzen am Arbeitsmarkt zu identifizieren?

Aufschluss bringt eine Machbarkeitsstudie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, in der ermittelt wird, ob und wie mit Online Job Advertisements (OJAs) als Datenbasis, Kompetenzentwicklungen vorhergesagt werden können.

 

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Larissa Klemme
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Inhalt

Die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändern die Arbeitswelt aktuell massiv. Zeitgleich steht die Wirtschaft vor einer nachhaltigen Erneuerung im Zuge der klimafreundlichen Transformation, die sich auch auf dem Arbeitsmarkt widerspiegelt. Beide Phänomene, oftmals als Zwillingstransformation (“Twin Transition”) bezeichnet, werfen die Frage auf, welche Kompetenzen in der Arbeitswelt von Morgen gefragt sein werden.

Während bisher häufig Expert:innen befragt wurden, um zukünftige Kompetenzbedarfe zu identifizieren, wird in dieser Studie exploriert, inwiefern sich aus den zurückliegenden Informationen über Kompetenzen in Online-Stellenanzeigen mittels Zeitreihenanalysen valide Aussagen über die zukünftigen Entwicklungen treffen lassen. Steigt die Nachfrage durch Arbeitgeber nach bestimmten Programmiersprachen in Zeiten der digitalen Transformation? Welche Skills sind gefragt, um die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit zu bewältigen? Online-Stellenanzeigen beschreiben die Arbeitsnachfrage von Unternehmen in Echtzeit und eignen sich daher sehr gut als Datenbasis zur Analyse von Kompetenzentwicklungen. In der Studie wird der Frage nachgegangen, ob Online-Stellenanzeigen sich auch für die Projektion künftiger Kompetenzentwicklungen eignen.

Für die Studie werden Kompetenzen in zwei Millionen Online-Stellenanzeigen aus neun verschiedenen Branchen, darunter Logistik, Gesundheit und IT, die zwischen Januar 2016 und März 2022 gesammelt wurden, analysiert. Zur Betrachtung von Kompetenzen wird die VERBIS Kompetenztaxonomie der Bundesagentur für Arbeit verwendet, welche 8.256 Kompetenzen umfasst. Im vorliegenden Datensatz sind 7.050 VERBIS-Kompetenzen enthalten. Analysiert werden die Kompetenzen der Online-Stellenanzeigen hinsichtlich

  • ihrer Popularität (Relativer Häufigkeit) innerhalb einer bestimmten Berufsgruppe,
  • ihrer Relevanz (Zentralität) im Netzwerk an Kompetenzen einer Berufsgruppe
  • und ihrem ökonomischen Aufschlag (Prämie) für das Vorhandensein der Kompetenz, sprich wieviel höher der Aufschlag, gemessen am Durchschnittsgehalt, für einen Job mit einem bestimmten Skill gegenüber einem Job ohne diesen Skill ist.

Können grundsätzliche Konzepte der Zeitreihenanalyse gefunden werden?

Um langfristige Vorhersagen zu treffen, ist es wichtig potenzielle strukturelle Veränderungen oder Entwicklungen zu erkennen. Zu dem Zweck wurde analysiert, ob über den Zeitverlauf ein Trend zu erkennen ist, dass eine Kompetenz tendenziell häufiger, seltener oder gleichbleiben in Online-Stellenanzeigen nachgefragt wird. Lässt sich zudem Saisonalität erkennen, zum Beispiel weil eine Kompetenz, wie „Klimatechnik“ im Sommer häufiger in Stellenanzeigen nachgefragt wird als im Winter? Das kann bestätigt werden. Bei der Nachfrage von Klimatechnik ist zudem das Konzept „Zyklizität“ der Zeitreihenanalyse erkennbar, da die Kompetenz in überdurchschnittlich heißen Sommern, wie 2018 und 2019, besonders stark gefragt ist. Es lässt sich feststellen: Die Kompetenzen, die über genügend Zeitreihendaten verfügen, enthalten klare Merkmale von Trend, Saisonalität und Zyklizität.

Für die Prüfung der Machbarkeit von Zeitreihenanalysen zur Vorhersage von Kompetenzentwicklung, werden die Kompetenzen „Bausanierung“ in der Berufsgruppe Hochbau und die „Programmiersprache Python“ in der Berufsgruppe IT ausgewählt, die über ausreichend Datenpunkte verfügen. Auf Grundlage der Monatsdaten, die die Veränderung der relativen Häufigkeit einer Kompetenz aufzeigen, sprich in wie vielen Online-Stellenanzeigen einer Branche die Kompetenz erwähnt wird und der Veränderung der Zentralität im Netzwerk angrenzender Kompetenzen, wird mit einem Vorhersage-Modell eine Prognose über zukünftige Entwicklungen für die nächsten zwölf Monate bis zum März 2024 gemacht.

Wie entwickeln sich die Kompetenzen „Bausanierung“ und „Python“ in Zukunft?

Die Zeitreihenanalyse zeigt, dass sich Popularität und Relevanz von „Bausanierung“ abwärts entwickeln. „Bausanierung“ wird über die Zeit seltener zusammen mit anderen Kompetenzen abgefragt. Daraus lässt sich ableiten, dass „Bausanierung“ - trotz weiterer Bemühungen um umweltbewusste Energieeinsparungen – möglicherweise an Bedeutung verlieren wird. Die Interpretation ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Die Prognose der sinkenden Nachfrage nach der Kompetenz „Bausanierung“ kann damit einhergehen, dass für die Vorhersage Daten aus den letzten Jahren verwendet wurden, die seit 2020 einen langfristigen rückläufigen Trend von Bausanierung erkennen lassen, womöglich durch den Neubau-Boom im Jahr 2020, die Covid-19-Pandemie, in der die Lieferketten für Baumaterial unterbrochen wurden, sowie die seit 2022 steigende Inflation, durch die die Aufnahme von Krediten für Bausanierungsprojekte an Attraktivität verlor. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, dass der Abwärtstrend sich zukünftig fortsetzt. Die gegensätzliche Entwicklung der Kompetenz „Python“ ist möglicherweise mit der voranschreitenden Entwicklung und dem vermehrten Einsatz Künstlicher Intelligenz in vielen Branchen zu erklären. Die Popularität und Relevanz von „Python“ steigen. Zudem wird die Kompetenz häufiger zusammen mit anderen relevanten Kompetenzen, bspw. „App-Entwicklung“, in Online-Stellenanzeigen abgefragt.

Vorhersagen sind möglich, jedoch entscheidet die Datenverfügbarkeit über die Vorhersagequalität

Um Aufschluss darüber zu erlangen, ob eine Zeitreihe weitere verwertbare Informationen für eine Vorhersage enthält, kann eine Autokorrelationsanalyse durchgeführt werden. Die Analyse beschreibt, wie stark die zufällig gewählten Werte einer Zeitreihe mit den vorherigen Werten korrelieren. Die Ergebnisse der Analysen zeigen, dass Vergangenheitsdaten verlässliche Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen erlauben. Weiß man, wie sich Kompetenzen hinsichtlich ihrer Popularität, Relevanz und ökonomischen Bewertung in der Vergangenheit entwickelt haben, so kann man daraus Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen ableiten. Dieser klar erkennbare Trend lässt sich entsprechend sicher in der Zukunft fortschreiben, wie die Zeitreihenanalyse und Cross-Validation bestätigen.

Die Vorhersagekraft schwindet, jedoch je weiter wir in die Zukunft blicken. In den meisten Fällen ist dies ab einer Vorhersage der Fall, die über ein Zeitfenster von sechs Monaten hinausgeht. Grundsätzlich gilt, dass stringente Muster aus der Vergangenheit - Entwicklungen mit geringer Varianz - zuverlässiger in die Zukunft fortgeschrieben werden können. Einige Kompetenzen erlauben bessere Vorhersagen als andere. Mit ausreichenden und qualitativ hochwertigen Daten sind verlässliche Aussagen über die zukünftige Entwicklung möglich.

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