Kleine Gruppe von Jugendlichen im Gespräch

Einführung einer Kindergrundsicherung – Stellungnahme zum vorliegenden Referentenentwurf

Die Bundesregierung will 2025 eine Kindergrundsicherung einführen. Ziel ist es, allen Kindern gutes Aufwachsen und soziale Teilhabe zu eröffnen und Kinderarmut wirksam zu vermeiden. Das Bundesfamilienministerium hat dazu Ende August einen abgestimmten Referentenentwurf vorgelegt. Können die Ziele der Kindergrundsicherung mit diesem Entwurf erfüllt werden? Dazu nehmen Antje Funcke, Sarah Menne und Anette Stein im Rahmen der Verbändeanhörung Stellung.

Ansprechpartnerinnen

Foto Antje Funcke
Antje Funcke
Senior Expert Familie und Bildung
Foto Sarah Menne
Sarah Menne
Senior Project Manager
Foto Anette Stein
Anette Stein
Director

Inhalt

Kinderarmut wirksam zu vermeiden, muss das Ziel sein

Das Projekt "Familie und Bildung: Politik vom Kind aus denken" untersucht seit Jahren das Ausmaß und die Folgen von Kinder- und Jugendarmut in Deutschland. Mit einem wissenschaftlichen Expert:innenbeirat und unter Einbindung eines JugendExpert:innenTeams wurde ein eigenes Konzept für eine Kindergrundsicherung – das "Teilhabegeld" – entwickelt, welches zum Ziel hat, allen Kindern und Jugendlichen faire Chancen auf Bildung und Teilhabe zu eröffnen.

Dass nun ein Gesetzesentwurf für die Einführung einer Kindergrundsicherung vorliegt, begrüßen wir, denn Kinder- und Jugendarmut zu vermeiden ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Es ist weder moralisch noch gesellschaftlich, geschweige denn aus einer ökonomischen Perspektive weiter hinzunehmen, dass in Deutschland jedes fünfte Kind in Armut aufwächst und damit grundlegender Chancen beraubt wird.

Die angedachte Kindergrundsicherung ist aber keine

Mit der im Entwurf angedachten Kindergrundsicherung kommen Kinder und Jugendliche raus aus dem Bürgergeld-Bezug und den damit verbundenen Nachteilen und Stigmatisierungen. Eine leichter und digital zu beantragende Leistung wird geschaffen, die mehr Kinder und Jugendliche als bislang erreichen soll.

Insgesamt ist der nun vorliegende Referentenentwurf aber keine Grundlage für die Einführung einer echten Kindergrundsicherung, wie sie seit Jahren von verschiedensten Akteur:innen (Verbände, Stiftungen und Wissenschaft) und auch vom Projekt Familie und Bildung in unterschiedlichen Modellen konzipiert wurde. Ein echter Systemwechsel hin zu einer einzigen, konsistenten und an den tatsächlichen Bedarfen von Kindern und Jugendlichen für gutes Aufwachsen und Teilhabe orientierten Leistung bleibt aus.

Eine Neubestimmung der Existenzsicherung von Kindern bleibt aus

Die im Koalitionsvertrag und im Gesetzentwurf in Aussicht gestellte Neubestimmung des Existenzminimums bleibt unklar und greift deutlich zu kurz. Dem Anspruch, das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Gehör und Beteiligung endlich zu erfüllen, wird nicht nachgekommen. Erneut werden junge Menschen, obgleich sie Expert:innen ihrer Lebenswelten sind, nicht nach ihren Bedarfen gefragt und beteiligt.

In Deutschland leben 3 Millionen Kinder und Jugendliche sowie 1,55 Millionen junge Erwachsene (18-24 Jahre) in Armut, das ist jedes fünfte Kind und jede:r vierte junge Erwachsene. Unsere Studien belegen, dass die derzeitige Höhe der staatlichen Leistungen nicht ausreicht, um ihnen ein gesundes Aufwachsen sowie gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten. Kinder im SGB II-Bezug sind nachweislich materiell unterversorgt, insbesondere was Teilhabe an Freizeit und Bildung angeht.

Der vorliegende Referentenentwurf bringt aber keine Leistungsverbesserungen für arme Kinder und Jugendliche. Sie werden weiter Mangel und Verzicht, insbesondere was Teilhabe an Bildung und Freizeit angeht, hinnehmen müssen. Dabei haben alle Kinder, die in unserem Land leben, laut UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf gutes Aufwachsen und gesellschaftliche Teilhabe.

Kinderarmut zu vermeiden, kostet Geld – das ist gut investiert

Kinder- und Jugendarmut zu vermeiden, kostet Geld. Mit dem im Entwurf veranschlagten Finanzvolumen von insgesamt 2,4 Mrd. im Jahr 2025 kann die Kinder- und Jugendarmut nicht bekämpft werden. Dieses Geld kommt bei den Kindern an und ist sinnvoll investiert in die Zukunft der nachwachsenden Generation und der Gesellschaft: Vermeiden wir heute Armut, so zeigen Studien, wirkt sich das für die Betroffenen in höheren Löhnen und besseren Abschlüssen aus und für den Staat in höheren Steuereinnahmen und geringen Ausgaben im Sozialsystem.

Lassen wir weiter so viele junge Menschen in Armut zurück, verfestigen wir den Mangel an Lebenschancen mindestens eines Fünftels der nachwachsenden Generation. Wir werden dann in Zukunft hohe Folgekosten tragen müssen und laufen Gefahr, dass sich unsere Gesellschaft weiter spaltet. Der im Koalitionsvertrag formulierte Anspruch, Kinderarmut durch die Einführung einer Kindergrundsicherung zu bekämpfen, sollte aufrechterhalten und in die Tat umgesetzt werden. Dazu bedarf es dringender Anpassungen im vorliegenden Entwurf.

Die Stellungnahme finden Sie hier.