Symbol für Recht und Gerechtigkeit mit Israel-Flagge. Nahaufnahme.

Politischer Einfluss auf Richterbänke

Die Empörung ist groß: Mit einer Justizreform will sich die neue ultra-rechte Regierung in Israel der Kontrolle durch das Oberste Gericht entziehen. Doch auch Demokratien wie die Niederlande, Island und Japan zeigen Mängel bei der Unabhängigkeit der Justiz.

Von Karola Klatt

Woche um Woche demonstrieren in Israel Zehntausende gegen die neue rechts-religiöse Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Seit Justizminister Jariv Levin kurz nach der Vereidigung der neuen Regierung in den ersten Tagen des neuen Jahres eine Justizreform vorstellte, sehen viele im In- und Ausland die israelische Demokratie bedroht.

Der geplante Umbau zielt vor allem darauf ab, die Kontrolle des Parlaments durch eine unabhängige Gerichtsbarkeit abzuschaffen. Bisher überprüfte der Oberste Gerichtshof die Rechtmäßigkeit von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen des Parlaments. Der Israelbericht 2022 der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung stellt dazu fest: „Der Oberste Gerichtshof gilt allgemein als einflussreiche Institution. Wiederholt hat er sich in die Politik eingemischt und die Rechtmäßigkeit politischer Beschlüsse, Entscheidungen und die Bereitstellung von Mitteln überprüft. (…) Die Richter gelten als öffentliche Treuhänder sowie eine unabhängige und unparteiische Justizbehörde als wesentlicher Bestandteil der demokratischen Ordnung.“

Anti-liberale Umwälzung

Nach den Plänen von Netanjahus Regierung soll das Parlament nun das Recht bekommen, Entscheidungen des Obersten Gerichts mit parlamentarischer Regierungsmehrheit zu überstimmen. Damit könnte die Regierung Gesetze durchsetzen, die höchstrichterlich abgelehnt wurden, wie jüngst ein Gesetz, das eilig verabschiedet wurde, um zu ermöglichen, dass rechtskräftig verurteilte Mitglieder der Regierungskoalition Ministerämter bekleiden dürfen. Die anti-liberalen Pläne der Regierung sehen außerdem vor, dass in dem Ausschuss, der über die Ernennung und Entlassung von Richtern entscheidet, zukünftig Abgeordnete die Mehrheit stellen sollen. Dadurch steigt auch der politische Einfluss auf die Auswahl von Richtern.

Die israelische Regierung befindet sich mit ihrem Vorhaben auf dem gleichen Pfad der politischen Vereinnahmung der Justiz, den bereits Ungarn, Polen und die Türkei eingeschlagen haben. Doch nicht nur die international wegen autokratischer Tendenzen in der Kritik stehenden Länder dehnen ihren Einfluss auf die Gerichte aus. Kritik an der Unabhängigkeit der Justiz und undemokratischen Berufungspraktiken für höchste Richterämter müssen sich auch Länder gefallen lassen, die weit weniger im Fokus der internationalen Öffentlichkeit stehen.

Niederlande: keine richterliche Überprüfung auf Verfassungsmäßigkeit

In den Niederlanden darf der Oberste Gerichtshof, der Hohe Rat der Niederlande, nicht wie in Deutschland oder den USA die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen überprüfen. Diese Aufgabe obliegt allein dem Parlament, das diese Gesetze auch erlässt. Der Hohe Rat ist die obersten Gerichtsbarkeit für das Zivil-, Straf- und Steuerrecht. Die Autoren des SGI-Länderberichts Niederlande 2022 stellen im internationalen Vergleich einen „relativ starken politischen Einfluss“ auf dieses Justizorgan fest, denn es „berät die Regierung in ihrer Eigenschaft als Gesetzgeber und fungiert gleichzeitig als letzte Berufungsinstanz, wenn es um dieselben Gesetze geht.“ Das gleiche gilt für den Staatsrat, das höchste Berufungsgericht gegen Verwaltungsentscheidungen, das 2020 in einem parlamentarischen Untersuchungsbericht über die sogenannte Kinderzuschlagaffäre dafür kritisiert wurde, aus politisch motivierten Gründen Entscheidungen im Sinne der Exekutive gefällt zu haben. Nur 6 von 10 möglichen Punkten erhält die Niederlande deshalb im SGI-Ranking für die Kontrolle von Regierung und Verwaltung durch eine unabhängige Justiz.

Island: eigenmächtig handelnde Justizministerin

In Island hat die Ernennung von Richtern schon oft für Debatten gesorgt. Als im Jahr 2017 ein neues Berufungsgericht geschaffen wurde, überging die Justizministerin die Empfehlungen eines Ausschusses und ernannte eigenmächtig und am Parlament vorbei vier der 15 Richter. Übergangene Richter klagten erfolgreich vor dem Obersten Gericht auf Kompensation und Schadenersatz. Die Ernennung war schließlich sogar Gegenstand einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der Island im März 2019 wegen Verstoßes gegen Artikel 6 der Europäischen Charta für Menschenrechte, der jeder Person das Recht auf einen fairen Prozess zusichert, verurteilte. In der Begründung hieß es, dass die Justizministerin den rechtlichen Rahmen, der in Island die Unabhängigkeit der Justiz gewährleisten soll, verletzt habe und es zu „schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten“ bei der Richterbestellung gekommen sei. In der Folge trat die Justizministerin zurück, vier neue Richter wurden ernannt und Leitlinien erlassen, die solche Rechtsbeugungen in Zukunft verhindern sollen.

Japan: Richterkarrieren abhängig vom Kabinettsentscheid

Die japanische Verfassung schreibt Gewaltenteilung fest, das heißt der Oberste Gerichtshof hat die Aufgabe, die Exekutive und Legislative auf der Basis der Verfassung zu kontrollieren. In der Erfüllung dieser Aufgabe wird dem Obersten Gerichtshof Japans jedoch eine gewisse Passivität nachgesagt. In seinem 75-jährigen Bestehen hat es nur elf Gesetze für verfassungswidrig erklärt. Eine Erklärung dafür: Das Justizwesen insgesamt zeigt eine gefährliche Nähe zur Regierung.

Der Einfluss der japanischen Regierung auf das Justizwesen zeigt sich besonders bei der Berufung von Richtern. Die Verfassung gibt dem Kabinett die Befugnis, die Richter des Obersten Gerichtshofs wie auch der unteren Gerichte zu ernennen. Nur der Präsident des Obersten Gerichtshofs wird vom Kabinett lediglich nominiert, um dann vom Kaiser bestätigt zu werden. Dieses Verfahren schränkt die richterliche Autonomie in erheblichem Maße ein, da die Regierungsmehrheit ihre Ernennungsbefugnis dazu nutzen kann, Richter, die sich der Regierungspolitik gegenüber zurückhaltend verhalten, mit einer Beförderung zu belohnen und diejenigen zu ignorieren, die der Exekutive gegenüber weniger nachgiebig sind. Im SGI-Indikator bekommt Japan für die Unabhängigkeit der Richterauswahl deshalb nur 2 von 10 möglichen Punkte.

Die Justiz und insbesondere die obersten Gerichtshöfe sind die stärksten unabhängigen Kontrollinstanzen, die Regierungen zur Rechenschaft ziehen können. Die Regierung Netanjahu argumentiert, mit ihrer Justizreform nur den Willen der Bevölkerungsmehrheit umzusetzen, sie sei damit „Teil eines fairen demokratischen Prozesses“. Doch die Macht der Richter einzuschränken und sie politisch zu vereinnahmen, ist meist nur der Anfang des Bestrebens, potenzielle Widersacher auszuschalten und die eigene Macht zu zementieren. Deshalb ist es richtig und wichtig, für die Unabhängigkeit der Justiz einzutreten – in Israel und überall, wo der Rechtsstaat Mängel zeigt.

Karola Klatt is a science journalist and editor of SGI News and the Bertelsmann Stiftung’s BTI Blog.