Wie Russland zur Autokratie wurde

 

Mit traditioneller Gastfreundschaft begrüßt Russland am Freitag die Welt zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Nach innen hat die Offenheit jedoch merklich abgenommen: Der aktuelle Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) stuft das Land unter anderem wegen der Einschränkung demokratischer Grundrechte erstmals als Autokratie ein.

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Sabine Donner
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Claudia Härterich
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Mit traditioneller Gastfreundschaft begrüßt Russland am Freitag die Welt zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Nach innen hat die Offenheit jedoch merklich abgenommen: Der aktuelle Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung (BTI) stuft das Land unter anderem wegen der Einschränkung demokratischer Grundrechte erstmals als Autokratie ein.

Zunehmende Repressionen gegen die politische Opposition, Einschränkung von Versammlungs- und Medienfreiheit, massive Menschenrechtsverletzungen im Kampf gegen Rebellen und Terroristen im Nordkaukasus sowie die Drangsalierung politisch relevanter Nichtregierungsorganisationen: Die Autoren der Studie zeichnen ein eher düsteres Bild, was die politische Transformation Russlands im Berichtszeitraum von Januar 2011 bis Januar 2013 betrifft.

Präsident Wladimir Putin prägt die politischen Prioritäten des Landes seit dem Jahr 2000 entscheidend – bis 2008 als Präsident, von 2008 bis 2012 als Ministerpräsident. Seine Strategie ist nach Auffassung der BTI-Autoren auch nach seiner erneuten Amtsübernahme weiterhin vorrangig darauf gerichtet, ein stabiles politisches System und beträchtliches Wirtschaftswachstum zu erreichen. Auf dem Weg dorthin sei es für die Staatsführung offenbar akzeptabel, demokratische Grundrechte oder marktwirtschaftliche Prinzipien zu verletzen.

So verzeichnen die Autoren in Russland etwa die verstärkte Manipulation von Wahlen – nicht nur durch direkten Wahlbetrug in ländlichen Regionen: Oppositionsparteien finden nur eingeschränkt Erwähnung in den Medien, Zugang zur Wahl oder die Möglichkeit, freie Demonstrationen und Versammlungen abzuhalten. Auch außerhalb von Wahlkämpfen seien kritische Stimmen zur Regierungspolitik in den Medien eher selten – und meist auf wenige Zeitungen und Radiosender mit begrenzter Reichweite beschränkt. Das Rechtssystem leide unter politischer Einflussnahme oder Korruption, zum Beispiel seien im Prozess gegen die kremlkritische Punkrock-Band Pussy Riot 2012 im Interesse der Regierung Grundsätze der Prozessordnung und Gleichbehandlung verletzt worden. Der weit verbreiteten Korruption im Land habe Präsident Putin zwar den Kampf angesagt, die tatsächliche Anti-Korruptions-Politik erschöpfe sich aber meist in rein symbolischen Maßnahmen.

Kaum Veränderungen gegenüber dem BTI 2012 stellen die Autoren dagegen bei der wirtschaftlichen Transformation Russlands fest. Das Land verfolge eine solide Geldpolitik, mit Staatshilfen konnten die Folgen der weltweiten Finanzkrise für die russische Wirtschaft abgefedert werden. Zugleich bleibe die soziale Ungleichheit auf unverändert hohem Niveau, was unter anderem Langzeitarbeitslosigkeit, den trotz Anhebungen immer noch unter dem Existenzminimum liegenden Renten- und Arbeitslosengeldsätzen und dem einheitlichen Einkommenssteuertarif geschuldet sei. Auch bei den Leistungen seiner Schüler und im Bereich Forschung und Entwicklung liege Russland unter dem OECD-Durchschnitt.

Gleichwohl fehle es an einer umfassenden und schlüssigen Strategie, um Russlands Ressourcenabhängigkeit zu verringern und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Stattdessen konzentriere sich die Regierung hauptsächlich auf Symbolprojekte und auf einflussreiche Großunternehmen, insbesondere jene in Staatsbesitz. Strategische Wirtschaftszweige wie etwa die Ölindustrie würden zunehmend unter staatliche Kontrolle gebracht, während der ohnehin schon kleine Anteil kleiner und mittelständischer Unternehmen sinke.

Dessen ungeachtet trete Russland auf der Weltbühne sehr selbstbewusst auf und verweigere sich häufig internationaler Hilfe. Ausländische Kritik am politischen und wirtschaftlichen System sowie der Menschenrechtssituation im Land interpretiere die politische Führung oft als fehlendes Verständnis für russische Traditionen und Besonderheiten. Ob der olympische Geist in den kommenden zwei Wochen das beiderseitige Verständnis beflügelt, ist abzuwarten.

Den vollständigen BTI-Länderbericht für Russland können Sie rechts in englischer Sprache herunterladen. Die wichtigsten Ergebnisse finden Sie zudem als interaktive Infografiken unter atlas.bti-project.org. (fwa)