Daniel Schraad-Tischler und Najim Azahaf sitzen in einer Sofaecke und unterhalten sich.

Neue Edition des SGI zeigt Folgen der bisher größten Finanz- und Wirtschaftskrise

 

Das SGI-Projekt geht 2014 in die dritte Runde und veröffentlicht neue Indikatoren. Im Interview reden Daniel Schraad-Tischler und Najim Azahaf über die kommende SGI-Ausgabe, die Gründung eines Learning Network for Governance Innovations und was die Finanzkrise über die Reformfähigkeit von Staaten verrät.

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Dr. Daniel Schraad-Tischler
Director
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Najim Azahaf
Senior Project Manager

Das SGI-Projekt geht 2014 in die dritte Runde und veröffentlicht neue Indikatoren. Im Interview mit  Daniel Schraad-Tischler und Najim Azahaf vom SGI-Team reden die beiden über die kommende SGI-Ausgabe, die Gründung eines Learning Network for Governance Innovations und was die Finanz- und Wirtschaftskrise über die Reformfähigkeit von Staaten verrät.

Herr Schraad-Tischler, Herr Azahaf, das SGI-Projekt geht 2014 in die dritte Runde und veröffentlicht neue Indikatoren. Welche Neuerungen wird es geben?

Daniel Schraad-Tischler: Die bisherigen SGI-Studien hatten zwei Bestandteile: den Status-Index und den Management-Index. Jetzt messen wir nachhaltiges Regieren anhand von drei Komponenten: nachhaltige Politikergebnisse, Demokratiequalität und die jeweiligen Governancekapazitäten eines Landes. Im Zusammenspiel gibt dies Auskunft darüber, wie zukunftsfähig ein Land ist und wie nachhaltig es regiert wird. Bisher haben wir uns auf die Länder der OECD konzentriert. Jetzt haben wir auch alle EU-Staaten im Blick – auch die, die bisher nicht Mitglied der OECD sind. Insgesamt sind es 41 Länder, also alle hochentwickelten westlichen Industriestaaten.

Wie genau funktioniert das neue Konzept des SGI?

Schraad-Tischler: Es gibt drei Grundbausteine, die zusammen das ausdrücken, was wir unter Sustainable Governance verstehen. Der Index „Sustainable Policy Performance“ untersucht alle OECD- und EU-Staaten mit Blick auf 16 Politikfelder. Dies drückt klar aus, wo die Reformnotwendigkeiten in den jeweiligen Staaten in den verschiedenen Politikbereichen liegen. Diese Säule ist noch einmal nach den drei Kerndimensionen des Nachhaltigkeitsgedankens aufgeschlüsselt und misst ökonomische, soziale und ökologische Aspekte. Die zweite Säule misst die Demokratiequalität von Staaten. Das war bisher auch im Status-Index enthalten. Die demokratisch-rechtstaatlichen Rahmenbedingungen eines Landes sind aus unserer Sicht nach wie vor ganz grundsätzliche Voraussetzungen, um langfristig erfolgreich regieren zu können. Die dritte Säule bildet der „Governance Capacities Index“, der das widerspiegelt, was früher im Management-Index enthalten war. Dort untersuchen wir, wie erfolgreich Staaten langfristig regieren können: Sind sie lernfähig? Wie agieren sie im Zusammenspiel mit anderen gesellschaftlichen Akteuren?

Azahaf: Im Gegensatz zu den meisten Indices betrachten wir nicht nur die Ergebnisebene. Wir öffnen zudem die „black box“ und schauen auch in den Apparat des Regierens selbst hinein. Dadurch können wir die Ergebnisse und die vorhandenen Kapazitäten gegenüberstellen. Die Grundidee beim SGI 2014 ist also die gleiche wie bei allen bisherigen SGI-Ausgaben. Neu ist, dass wir einen stärkeren Dashboard-Ansatz verfolgen. Heruntergebrochen auf die einzelnen Dimensionen erkennt man so die jeweiligen Stärken und Schwächen der Länder noch besser.

Wie kam es zu den Veränderungen am Konzept des SGI?

Azahaf: Es wird oft kritisiert, dass man bei der Messung von Governance-Qualität häufig immer noch einem sehr überholten Staatsbegriff nachhängt, der so tut, als wären Nationalstaaten in sich abgeschlossene Gebilde. Wir im SGI Projekt glauben zwar auch immer noch, dass der Nationalstaat die entscheidende Referenzgröße ist, um nachhaltige Politikergebnisse zu erzielen. Aber natürlich sind die Linien zu globalen und regionalen Governance-Themen fließend. Dem tragen wir im neuen SGI Rechnung, indem wir quer zu den drei eben angesprochenen Grundsäulen noch eine weitere Ebene betrachten, die sich mit sogenannten Global Public Goods beschäftigt – also Gütern, die nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden sind.

Schraad-Tischler: Gerade in der globalen Nachhaltigkeitsdebatte darf man nicht nur auf die nationale Verantwortung von Staaten schauen. Wir müssen auch fragen: Nehmen Regierungen ihre internationale Verantwortung wahr? Setzen Sie sich für einen fairen Welthandel, für die Regulierung und Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte oder den  Klimaschutz ein? Künftig werden wir auch noch stärker mit den Kollegen aus der Europa-Abteilung der Bertelsmann-Stiftung zusammenarbeiten und regelmäßig Studien für alle 28 EU-Staaten veröffentlichen. Die europäische Arena in Brüssel wollen wir so mehr und mehr ansprechen.

Ändert sich etwas an der Grundausrichtung des Projekts?

Najim Azahaf: Bei vergangenen Editionen des SGI lautete die Mission: „To render the invisible visible“. Auch wenn die Sichtbarmachung sehr von Stärken- und Schwächen politischer Systeme durch den systematischen internationalen Vergleich unser Anliegen bleibt, werden wir uns künftig stärker als bisher der Analyse und Vermittlung von Good Practises zuwenden. Viele Staaten haben mit Blick auf nachhaltige Politikgestaltung bereits interessante Ansätze entwickelt. Solche Governance-Innovationen zu identifizieren und international reisefähig zu machen, haben wir uns für die kommenden Jahre zum Ziel gesetzt. Im Kern geht es also beim neuen Motto „Making governance innovations travel“ darum gute Ideen und Praktiken bspw. im Bereich institutioneller Arrangements, verbesserter Prozesse oder auch auf der Ebene von Politiken  transnational verfügbar machen.

Wie soll das geschehen?

Azahaf: Hier stehen wir noch mitten in der Projektentwicklung. Fest steht aber, dass wir unseren Blick in diesem Zusammenhang auf die eigentlichen Akteure richten müssen. Angefangen bei politisch gewählte Repräsentanten über die Arbeitsebene in Ministerien und Behörden bis zu zivilgesellschaftlichen Kräften. Sie sind es, die am Ende des Tages den Unterschied machen oder eben nicht. Wir haben das Nachdenken über Governance-Innovationen und wie man diese für anderen Länder verfügbar machen kann natürlich nicht erfunden. Hier gibt es bereits viele akademische Akteure, beispielsweise Public Policy- und Governance Schools oder Forschungsprogramme der EU für die Wissenschaft. Ziel ist es, gemeinsam mit Akteuren aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft die systematische und grenzüberschreitende Suche nach reisefähigen  Governance-Innovationen zu intensivieren und zu koordinieren. Am Ende steht ein umfangreicher Daten- und Wissenspool für Akteure, der ihnen die Arbeit erleichtert und Politikgestaltung im Sinne nachhaltiger Entwicklung fördert.

Wie kann man die Ergebnisse des SGI einsehen?

Schraad-Tischler: Unsere Webseite wird zur Veröffentlichung der Studie überarbeitet und das neue Konzept des Projekts widerspiegeln. Es wird auch neue Möglichkeiten zu Interaktion und nutzerorientierte Rankings geben: Wenn mir der Bereich Umwelt beispielsweise besonders wichtig ist, kann ich dem ein höheres Gewicht geben und mir die Länderrankings dementsprechend sortiert anzeigen lassen. Auf der neuen Webseite wird es auch die Möglichkeit geben, die Daten besser zu exportieren und zu teilen – via Twitter zum Beispiel.

Azahaf: Bei vielen anderen Indices bekommt man oft nur ein Endergebnis präsentiert, bei dem man nicht weiß, wie es zustande gekommen ist. Bei uns ist alles transparent – von der obersten Indexstufe bis hinunter zum einzelnen Indikator kann man alles nachvollziehen.

Können Sie schon etwas aus dem neuen SGI verraten?

Azahaf: In den letzten drei Jahren hat die Welt die größte Finanz-und Wirtschaftskrise erlebt – mit starken Nachwehen auch im sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Bereich. Viele der Folgen und Auswirkungen lassen sich in der neuen Edition des SGI sehr gut studieren. Auch die Möglichkeit, Subsamples gesondert zu betrachten, eröffnet neue Möglichkeiten, um beispielsweise die Situation in der Eurozone zu analysieren.

Schraad-Tischler: … und die Reaktionen der Länder auf die Krise. Wie haben bestimmte Länder, die besonders betroffen von der Krise waren und sind, reagiert? Was haben sie gemacht, was nicht? In unserem neuen Länderbericht zu Griechenland zeigt sich beispielsweise, dass sich in dem Land viel tut. Was unter dem schlimmen Druck der Ereignisse geschehen ist, hat sich an manchen Stellen auch zum Positiven hin entwickelt.

Wann erscheint der SGI 2014?

Schraad-Tischler: Die Veröffentlichung der Gesamtergebnisse ist für Mitte März 2014 geplant.

Interview: Rosa Gosch