In den Potsdamer Kindertageseinrichtungen finden mehr als drei Viertel aller Kinder im Alter von unter drei Jahren keine Betreuung, die den gesetzlichen Rahmenbedingungen entspricht. Das Missverhältnis ergibt sich daraus, dass die Mehrzahl der Kinder deutlich länger in der Kita bleibt als vom Gesetzgeber einkalkuliert. Das geht aus einer repräsentativen Studie der Bertelsmann Stiftung hervor, die im Rahmen eines Modellprojektes in Brandenburg durchgeführt wurde und heute veröffentlicht wird. Demnach ist in Potsdamer Kitas im Durchschnitt eine vollzeitbeschäftigte Erzieherin für 7,2 Kinder unter drei Jahren zuständig. Das brandenburgische Kita-Gesetz schreibt aber einen Personalschlüssel von ein zu sechs vor.
"Für Potsdam und auch für Brandenburg insgesamt gilt: Der Ausbau der Kita-Plätze ist weit vorangeschritten. Allerdings müssen Land und Kommunen die Finanzierungsbedingungen für die Kitas so schnell wie möglich so verändern, dass auch bei längeren Betreuungszeiten die gesetzlichen Personalschlüssel eingehalten werden können", sagt Anette Stein, Programmdirektorin der Bertelsmann Stiftung.
Bei der Bemessung und Finanzierung des Personals nach dem brandenburgischen Kita-Gesetz wird pauschal nur zwischen den Betreuungszeiten bis zu sechs Stunden oder mehr als sechs Stunden täglich unterschieden. Deshalb reichen die öffentlichen Mittel nicht aus, um bei Betreuungszeiten von über 7,5 Stunden den gesetzlichen Personalschlüssel einzuhalten. Werden Kinder dann länger als 7,5 Stunden täglich betreut wie derzeit für die Mehrzahl üblich – muss das vorhandene Personal über die längeren Betreuungszeiten verteilt werden. Dadurch kann der gesetzlich vorgeschriebene Personalschlüssel nicht mehr eingehalten werden und die Qualität der Betreuung verschlechtert sich für alle Kinder.
Wie die Studie ermittelt, werden aktuell 78 Prozent der unter Dreijährigen an Postdamer Kitas länger als 7,5 Stunden betreut: Knapp 32 Prozent besuchen ihre Kita täglich für mindestens acht Stunden und 46 Prozent sogar zehn Stunden oder länger. Daher können die gesetzlichen Vorgaben nicht realisiert werden.
Selbst wenn es in Brandenburg gelänge, den gesetzlichen Personalschlüssel zu erfüllen, würde dies noch nicht ausreichen, eine gute Qualität zu sichern. Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt für die Betreuung von unter Dreijährigen einen Schlüssel von eins zu drei, also doppelt so viele Erzieherinnen wie in Brandenburg vorgesehen. "Langfristig müssen in Brandenburg wie in allen östlichen Bundesländern deutlich mehr Mittel für eine bessere Personalausstattung investiert werden", fordert Anette Stein. "Die brandenburgischen Personalschlüssel schaffen noch nicht ausreichende Voraussetzungen für gute Bildungs- und Entwicklungsbedingungen der Kita-Kinder."
Ähnlich problematisch ist die Ausstattung in den Potsdamer Kitas für die über Dreijährigen: In dieser Altersgruppe verbringen mehr als 32 Prozent der Kinder mindestens acht Stunden täglich in einer Kita, rund 39 Prozent weisen tägliche Betreuungszeiten von zehn Stunden und mehr auf. Somit beträgt der Personalschlüssel für die vertraglich vereinbarten Betreuungszeiten in den Potsdamer Einrichtungen tatsächlich durchschnittlich 1:12,5 und erfüllt nicht die gesetzliche Vorgabe von 1:12. Auch für über Dreijährige ist der Schlüssel nach Kita-Gesetz (1:12) deutlich schlechter als die Empfehlung der Bertelsmann Stiftung (1:7,5).
Methodik der Studie
Die Studie der Bertelsmann Stiftung wurde im Rahmen eines Modellprojekts in Brandenburg durchgeführt, mit dem Ziel die Kita-Finanzierung zu verbessern. Grundlage der Untersuchung in eine repräsentative Stichprobe aus 26 Kitas in Potsdam mit Daten zu den Betriebskosten, der Finanzierung sowie den strukturellen Rahmenbedingungen. Die Berechnungen wurden am Kompetenzzentrum Soziale Dienste der Universität Bielefeld unter der Leitung von Prof. Heinz-Günter Micheel mit Hilfe eines wissenschaftlich entwickelten und erprobten Simulationstools durchgeführt. Die Studie bietet Erkenntnisse zur aktuellen Lage der Kitas vor Ort mit besonderem Fokus auf Weiterentwicklungsbedarfe der Finanzierungsregelungen. Weiterführende Informationen zur Untersuchung finden Sie im Downloadbereich rechts.
Der Personalschlüssel umfasst die vertraglich vereinbarte Gesamtarbeitszeit einer Erzieherin, die sie einerseits direkt mit den Kindern verbringt und darüber hinaus für weitere Aufgaben benötigt wie z.B. Elterngespräche, Teamsitzungen, Fortbildung oder die Kooperation mit anderen Institutionen. Auch Ausfallzeiten für Urlaub, Fortbildungen und Krankheit sind enthalten. Für diese Aufgaben benötigt sie mindestens 25 Prozent ihrer Arbeitszeit. Bei einem Personalschlüssel von 1:3 ergibt sich somit eine Fachkraft-Kind-Relation von einer Vollzeitkraft zu vier Ganztagskindern.
Die Bemessung und Finanzierung des pädagogischen Personals erfolgt in Brandenburg nach folgendem Prinzip: Für sechs unter Dreijährige, die täglich mehr als sechs Betreuungsstunden in Anspruch nehmen, wird eine Vollzeitstelle finanziert. Bei einer Betreuungszeit von bis zu sechs Stunden täglich, sind 0,8 Stellen für sechs Kinder unter drei Jahren finanzierungsfähig. Analog verhält es sich bei den Kindern über drei Jahren. Die Berechnungen der Studie zeigen für beide Altersgruppen, dass nur bei Betreuungszeiten bis maximal 7,5 Stunden täglich der gesetzlich vorgeschriebene Personalschlüssel realisiert werden kann.