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20 Jahre WTO-Beitritt Chinas - Wie soll die EU mit der neuen Supermacht umgehen?
Am 11. Dezember 2021 jährt sich Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) zum zwanzigsten Mal. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China haben sich durch Chinas Einbindung in das multilaterale Handelssystem intensiviert – überwiegend zum gegenseitigen Nutzen. Künftig werden die Beziehungen zu China für die EU künftig jedoch deutlich herausfordernder werden. Konsequentes und konzertiertes Handeln ist in Brüssel daher erforderlicher denn je.
Inhalt
Smartphones, Computer, integrierte Schaltkreise - Chinas wichtigste Exportgüter zeigen, dass das Land nicht mehr nur eine „Fabrik“ ist, die die Welt mit billigem Spielzeug und Textilien beliefert, sondern sich in den globalen Wertschöpfungsketten technologisch nach oben gearbeitet hat. Der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) am 11. Dezember 2001 war für diese Entwicklung von entscheidender Bedeutung. Er veränderte die internationale Arbeitsteilung und führte zu Wohlstandssteigerungen in der Weltwirtschaft. Die Integration einer großen Volkswirtschaft mit einem nicht-demokratischen und nicht-marktwirtschaftlichen System in das multilaterale, regelbasierte Welthandelssystem stellte jedoch auch eine große Herausforderung dar. Denn im Gegensatz zu westlichen Erwartungen hat Chinas WTO-Mitgliedschaft zwar die wirtschaftliche Öffnung des Landes beflügelt, aber eine Transformation des politischen Systems blieb aus und die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente machten aus China auch keine Marktwirtschaft nach westlicher Vorstellung. Im Gegenteil haben staatliche Eingriffe in die Wirtschaft insbesondere seit dem Amtsantritt von Xi Jinping wieder deutlich zugenommen.
Der neue strategische Ansatz gegenüber China muss sich noch einspielen
Auch 20 Jahre nach dem Beitritt greifen wichtige Grundprinzipien der WTO, wie Gegenseitigkeit und Nichtdiskriminierung in China nicht oder nur unvollständig. Das von vielen erhoffte „Level Playing Field“, also gleiche Wettbewerbsbedingungen für chinesische und ausländische Unternehmen, ist ausgeblieben. Stattdessen steht der nach dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion tot gesagte "Wettbewerb der Systeme" wieder auf die Tagesordnung. Die EU hat daher bereits 2019 ihren strategischen Ansatz gegenüber China angepasst und die – nach wie vor wichtige – Dimension „Kooperationspartner“ um die Dimensionen „ökonomischer Wettbewerber“ und „systemischer Rivale“ ergänzt. Die praktische Ausgestaltung dieses neuen Umgangs mit China ist jedoch ein laufender Prozess, der auch nach über zwei Jahren noch längst nicht abgeschlossen ist. Das alte Mantra „Wandel durch Handel“ gilt es durch eine sorgfältigere Abwägung zwischen ökonomischem Nutzen und geopolitischen Interessen zu ersetzen. Aber das braucht Zeit. In der Vergangenheit standen für die EU wirtschaftliche Überlegungen und daraus resultierende Vorteile im Fokus der Beziehungen zu China. Dementsprechend haben gegenseitiger Handel und bilaterale Investitionen zwischen den beiden Wirtschaftsmächten seit Chinas WTO-Beitritt im Jahr 2001 deutlich zugelegt: Im Jahr 2020 war China mit einem Anteil von 16 Prozent am EU-Warenhandel, 22,4 Prozent der EU-Einfuhren und 10,5 Prozent der EU-Ausfuhren der größte Handelspartner der EU. Hinter den reinen Außenhandelszahlen verbirgt sich zudem die Tatsache, dass China eine zentrale Rolle in den globalen Wertschöpfungsketten europäischer Unternehmen spielt.
Während die Handelsbeziehungen zwischen der EU und China zugunsten chinesischer Exporte ausfallen, verhält es sich bei ausländischen Direktinvestitionen aus China in die EU genau umgekehrt: Bis 2019 investierten chinesische Unternehmen rund 70 Milliarden Euro in der EU, was nur etwa einem Drittel der 200 Milliarden Euro entspricht, die EU-Unternehmen im gleichen Zeitraum in China investierten. Damit fallen die gegenseitigen Investitionsbeziehungen von der Quantität her eindeutig zugunsten der Europäer aus. Allerdings sind europäische High-Tech-Firmen, die sich eins zu eins in industriepolitische Vorhaben der chinesischen Regierung einfügen lassen, insbesondere seit Verkündung der „Made in China 2025“-Strategie 2015, ein Fokus chinesischer Übernahmen in der EU. Daher stehen chinesische Direktinvestitionen trotz ihres vergleichsweise geringen Volumens mittlerweile stärker auf dem Prüfstand. Während chinesischen Unternehmen die Tür zum EU-Binnenmarkt aber trotzdem noch weit offen steht, stoßen europäische Unternehmen in China nach wie vor auf Hürden beim Marktzugang. Klagen darüber haben zuletzt sogar zugenommen. Zudem laufen ausländische Unternehmen in China zunehmend Gefahr, zum Spielball geopolitischer Interessen zu werden. Und auf internationaler Ebene positioniert China sich mit Blick auf sein Entwicklungsmodell – und damit auch sein politisches System - immer klarer als Alternative und Rivale zum Westen.
Herausforderung für die EU: Wirtschaftliche Offenheit darf kein Bumerang werden
Die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit China, von denen die EU und insbesondere exportorientierte Mitgliedsstaaten wie Deutschland profitiert haben, könnten sich in Zukunft daher zunehmend als Risiko erweisen. Schließlich könnte eine im Sinne der internationalen Arbeitsteilung begrüßenswerte Verflechtung schnell zu einer kritischen Abhängigkeit werden, wenn sie zu politischen Zwecken missbraucht wird. Und China ist dazu geneigt, solche asymmetrischen Interdependenzen direkt oder indirekt auszunutzen, um politische Ziele zu erreichen. Das macht die Beziehungen der EU zu China künftig herausfordernder.
Einerseits erscheint es selbstverständlich, dass die EU und China als wichtige Wirtschaftsakteure zusammenarbeiten, um Stabilität, Wohlstand und nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene zu sichern. Insbesondere Probleme wie die Bekämpfung des Klimawandels und der dringend notwendigen Reform der WTO, die stabile und berechenbare Regeln im multilateralen Handelssystem sicherstellen soll, lassen sich ohne China nicht lösen.
Andererseits sieht sich die EU einem China gegenüber, mit dem noch immer kein Wettbewerb auf Augenhöhe möglich ist. China will zudem seinerseits kritische Abhängigkeiten vom Ausland verringern und seine technologische Eigenständigkeit stärken. Die Rahmenbedingungen für europäische Unternehmen in China werden sich dadurch künftig weiter erschweren. In diesem Umfeld muss die EU sicherstellen, dass ihre grundsätzliche wirtschaftliche Offenheit nicht zu einem Bumerang wird.
5 Ansatzpunkte für den künftigen Umgang mit China
China ist und bleibt zwar ein wichtiger Partner für die EU. Die Dimensionen „Wettbewerber“ und „Rivale“ haben seit ihrer Nennung im Strategiepapier der EU zu China 2019 in den gegenseitigen Beziehungen jedoch an Bedeutung gewonnen. Durch jüngere Entwicklungen, wie die verschärften Spannungen mit Blick auf die Lage in Xinjiang, Hongkong oder Taiwan, ist die systemische Rivalität – zumindest aus Sicht der EU – sogar in den Vordergrund gerückt. Um dieser neuen Lage künftig noch stärker Rechnung zu tragen, sind für die EU fünf Ansatzpunkte im Umgang mit China wichtig:
1. Die EU sollte gegenüber China konsequenter und konzertierter handeln. Nur wenn die EU ihr gesamtes wirtschaftliches Gewicht in die Waagschale wirft, wird sie wirklich in der Lage sein, China auf Augenhöhe zu begegnen und sich als geopolitisch relevanter Akteur zu positionieren – so wie es die derzeitige Kommission anstrebt.
2. Multilateralismus ist und bleibt die erste und beste Option in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Daher sollte sich die EU weiterhin für eine funktionierende WTO als zentraler Pfeiler des multilateralen Handelssystems einsetzen. Die Einbindung Chinas ist dafür entscheidend.
3. Solange die Zukunft des Multilateralismus unklar ist, sind bilaterale Abkommen und eine strategische Diversifizierung der Wirtschaftspartner die zweitbesten Optionen. Dadurch kann die EU einseitige Abhängigkeiten, die politisch erpressbar machen, vermeiden oder verringern.
4. Die EU sollte die Überprüfung ihrer außenwirtschaftspolitischen Instrumente fortsetzen und, falls erforderlich, neue Instrumente einführen, um eine Antwort auf die zunehmende politische Instrumentalisierung wirtschaftlicher Verflechtungen zu haben. Ein wichtiger Schritt könnte das Instrument zur Bekämpfung von Zwangsmaßnahmen sein, das die Kommission am 8. Dezember vorgestellt hat. Solche Maßnahmen sollten jedoch transparent, maßvoll und mit den WTO-Regeln vereinbar bleiben.
5. Die stärksten Instrumente nützen nur wenig, wenn sie lediglich auf dem Papier stehen. Die EU muss auch bereit sein, sie im Bedarfsfall tatsächlich anzuwenden – und dies China gegenüber sehr deutlich machen.