Die Veranstaltung vom 15. September 2023 setzte den Fokus darauf, wie Partizipationsprojekte institutionalisiert und in die reguläre Politikgestaltung eingebettet werden können. Die Teilnehmenden diskutierten zusammen mit Gisela Erler, ehemalige Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg, und Expert:innen aus ganz Europa über Wege, wie Bürgerbeteiligung dauerhaft in reguläre politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden kann. Die Themen: Einbeziehung von Politiker:innen, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Follow-up-Prozesse, Instrumente, Methoden und dauerhafte Mechanismen zur Institutionalisierung und vor allem die Schaffung einer partizipativen Kultur.
Bürgerbeteiligung in Europa fest verankern – auch auf der lokalen Ebene
Warum ist Bürgerbeteiligung wichtig und warum braucht es dazu einen institutionellen Rahmen? Europaweit stieß das Thema unserer Veranstaltung auf großes Interesse: mehr als 120 angemeldete Teilnehmer:innen aus 27 Ländern und 70 Regionen, Städten und Gemeinden waren bei Veranstaltung der Initiative „A new chapter for participatory democracy“ der Bertelsmann Stiftung und des Europäischen Ausschusses der Regionen dabei.
Inhalt
Wie lassen sich Vorbehalte in Verwaltung und Politik überwinden?
„Positive Beispiele sind immer noch das beste Argument gegen Zweifel. Und die Skeptiker müssen einbezogen werden und Bürgerbeteiligung hautnah erleben“, so Gisela Erler, ehemalige baden-württembergische Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, gleich zu Beginn der Veranstaltung. Sie teilte ihre langjährigen Erfahrungen mit den Teilnehmer:innen und machte Mut: Auch Baden-Württemberg wurde nicht über Nacht zu einem Bürgerbeteiligungs-Vorreiterland in Europa. Das Ergebnis des langen Atems kann sich sehen lassen: In Baden-Württemberg ist die durchschnittliche Zufriedenheit mit der Demokratie fast 10% höher als im Bundesdurchschnitt – eine direkte Folge der Politik des Gehört-Werdens, eine direkte Folge von mehr guter Bürgerbeteiligung.
Konkrete Instrumente für einen institutionellen Rahmen
Praxisexpert:innen aus der Stadt Kielce (Polen), aus Nantes (Frankreich), Brüssel (Belgien) und Stuttgart (Deutschland) stellten den Teilnehmenden in kleinen und großen Gruppen vielfältige Möglichkeiten und gute Beispiele vor, wie Bürgerbeteiligung auf unterschiedlichen Ebenen institutionalisiert und fest verankert werden kann.
Leitlinien für gute Bürgerbeteiligung, Bürgerbeteiligungssatzungen oder sogar Gesetze, die Bürgerbeteiligung regeln, können Qualitätsstandards sichern werden und Verfahrensabläufe definieren. Somit entsteht ein Rahmen, in dem sich alle künftigen konkreten Beteiligungsprojekte bewegen. Zentrale Koordinierungsstelle oder Partizipationsbeauftragte können qua Amt das Thema Bürgerbeteiligung institutionalisieren. Konkrete Instrumente, wie digitale Plattformen, Bürgerausschüsse oder institutionalisierte Bürgerräte, können den Austausch zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung verstetigen. Alle Instrumente funktionieren allein, aber auch im Zusammenspiel.
Unterstützung können Interessierte von dem neu gegründeten Kompetenzzentrum für Bürgerbeteiligung und deliberativer Demokratie der Europäischen Kommission bekommen. Expertinnen informierten über die europäische Unterstützung für lokale und regionale Bürgerbeteiligungspraxis.
Bürgerbeteiligung fest verankern – eine Bürgerbeteiligungskultur fördern
Argumente für die Institutionalisierung von Bürgerbeteiligung fasste Anna Renkamp, Bürgerbeteiligungsexpertin der Bertelsmann Stiftung zusammen:
- Die Bürger:innen wollen, dass ihre Stimme von den politischen Entscheidungsträgern gehört wird.
- Die Beteiligung der Bürger:innen verbessert die politischen Ergebnisse.
- Bürgerbeteiligung erhöht die Akzeptanz der politischen Ergebnisse.
- Bürgerbeteiligung stärkt das Vertrauen in Politik und Demokratie.
- Die positiven Auswirkungen auf die Demokratie kommen nur zum Tragen, wenn die Qualität der Bürgerbeteiligungsprojekte sichergestellt wird.
- Um langfristig Qualität zu gewährleisten, brauchen die Beteiligungsprojekte feste, institutionalisierte Rahmenbedingungen.
In den Diskussionen wurde deutlich: Auch in den Köpfen der Menschen muss sich etwas ändern. Die europäische Demokratie braucht eine partizipative Kultur. Eine Schlüsselrolle kommt hier den Politiker:innen zu, die Bürgerbeteiligung positiv gegenüberstehen. Mindestens ebenso wichtig ist aber auch eine öffentliche Verwaltung mit partizipativem Know-how und Kompetenzen für das Management von Bürgerbeteiligungsprojekten.
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Über die Initiative
Aufbauend auf dem Projekt "From local to European" aus dem Jahr 2021 und im Vorfeld der Europawahlen 2024 haben der Europäische Ausschuss der Regionen und die Bertelsmann Stiftung eine neue Initiative gestartet. Ziel ist es, Bürgerbeteiligung mit modernen und innovativen Konzepten zu fördern, vor allem bei EU-relevanten Themen wie Energie, Klima oder Gesundheit. Die Initiative unterstützt regionale und lokale Politiker:innen dabei, Kompetenzen für die Durchführung von Bürgerbeteiligungsprojekten aufzubauen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der jungen Generation von Politiker:innen.