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Strategie-Update von reframe[Tech]: Vier Missionen für mehr digitales Gemeinwohl

Digitale Technologien spielen in immer mehr Bereichen eine Rolle, während die Debatten darüber zunehmend heiß laufen. Um die wirkungsvollsten Stellschrauben zu adressieren, haben wir unsere Projektstrategie überarbeitet und erklären hier, was wir zukünftig vorhaben.

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Julia Gundlach
Senior Project Manager
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Martin Hullin
Director

Inhalt

In den vergangenen zwei Jahren hat sich im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) bemerkenswert viel getan. Früher musste erklärt werden, warum die Technologie Relevanz hat; heute muss aufgeklärt werden, damit sich nicht alle Themen dieser Welt ausschließlich um generative KI drehen. Vor dem Hintergrund dieser Veränderungen haben wir im Projekt reframe[Tech] der Bertelsmann Stiftung unsere Strategie für die nächsten eineinhalb Jahre überarbeitet.

Wir leben in einer Zeit des Hypes: Einige wenige Tech-Unternehmen, die durch Netzwerkeffekte, die Vermarktung von Aufmerksamkeit und die damit gesammelten Daten mächtig geworden sind, bestimmten den Diskurs, die wissenschaftliche Forschung und die wirtschaftliche Nutzung digitaler Technologien wie nie zuvor. Sie bestimmen maßgeblich darüber, wie über KI gedacht und geschrieben wird – von utopischen Fantasien eines Allheilmittels bis zu dystopischen Schreckensszenarien im Sinne einschlägiger Science-Fiction-Filme. Die tatsächlichen Potenziale und Chancen sowie die bereits spür- und messbaren Konsequenzen von alltäglicher Diskriminierung durch KI-Systeme, Umweltverschmutzung und fürchterliche Arbeitsbedingungen im globalen Süden kommen hingegen kaum zur Sprache.

Dies geht einher mit einem beispiellosen finanziellen Wettrüsten einiger weniger Tech-Unternehmen in Infrastruktur, KI-Unternehmen und die Entwicklung eigener Angebote. Allein Alphabet, Amazon, Meta und Microsoft werden in 2024 voraussichtlich 200 Milliarden US-Dollar für neue KI-Investitionen ausgeben. 139 Länder dieser Welt haben ein geringeres jährliches Bruttoinlandsprodukt. Diese Investitionen sind nicht neutral – denn sie fehlen an Stellen, die nicht im Licht des KI-Hypes glitzern, und verursachen einen horrenden Bedarf an Energie und Rohstoffen.

So nimmt die Privatisierung digitaler Zukunftstechnologien weiter zu, während öffentliche oder dezentrale Infrastrukturen ein Nischendasein fristen. Der Blick in andere Länder zeigt uns, wie gefährlich es sein kann, kritische Infrastrukturen und sensible Entscheidungen in die Hände einiger weniger zentralisierter Akteure zu geben – unabhängig davon, ob diese privat oder staatlich sind.

Diesen besorgniserregenden Gegebenheiten wollen wir gemeinsam mit Partner:innen eine gemeinwohlorientierte Vision entgegenstellen: Eine verantwortungsvolle digitale Gesellschaft setzt sich für die Entwicklung und Umsetzung ethischer, breit zugänglicher und gemeinwohlorientierter digitaler Technologien ein. Denn der Bedarf an dezentralen, öffentlichen Infrastrukturen und nutzerorientierten Angeboten als Alternative zu den Angeboten der dominanten, profitorientierten Tech-Giganten ist gewaltig. Nur so lassen sich Datenschutz, Transparenz, Zugangsgerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Mitbestimmung erreichen und damit Vertrauen und Teilhabe der Nutzer:innen stärken. Um dieser Vision näherzukommen, verfolgen wir insbesondere vier Missionen.

Wir werden uns künftig noch intensiver mit der Stärkung digitaler öffentlicher Infrastruktur beschäftigen. Wir bauen auf unsere Arbeit zum Design von Plattformen auf, wie wir es bereits bei der Ausgestaltung von Empfehlungsalgorithmen getan haben, und nehmen zusätzlich die Datengrundlagen von Sprachmodellen in den Blick.

Wir tragen dazu bei, dass unsere digitale Infrastruktur dezentraler aufgestellt ist und stärker öffentlich unterstützt wird.

Um den bislang übermächtigen Tech-Unternehmen relevante gemeinwohlorientierte Alternativen entgegenzustellen, braucht es einen aktiven Staat, der sich seiner Macht in der eigenen Nutzung von digitalen Technologien bewusst ist, faire Spielregeln setzt und an entscheidenden Stellen investiert. Grundlage dafür ist, dass Verwaltungsmitarbeiter:innen ein möglichst breites wie tiefes Verständnis der technologischen Entwicklungen und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen haben. Aufbauend auf unserer Grundlagenarbeit zu relevanten KI-Kompetenzen im öffentlichen Sektor werden wir konkrete Tools entwickeln, um die Fähigkeiten in der Verwaltung niedrigschwellig zu stärken.

 

Wir erarbeiten niedrigschwellige Angebote, um KI-Kompetenzen im öffentlichen Sektor zu stärken.

Dies ist deswegen entscheidend, weil Verwaltungsmitarbeiter:innen nicht nur immer öfter digitale Technologien in ihrer Arbeit nutzen (werden), sondern auch, weil insbesondere staatliche Stellen eine verantwortungsvolle Überprüfung der Systeme gewährleisten müssen. Die europäische KI-Verordnung verlangt, die verhandelten Rahmenbedingungen bis 2026 umzusetzen; wie konstruktiv oder eben auch leidvoll die Regulierung ausfällt, wird sich in dieser Zeit entscheiden. Da die KI-Verordnung einen horizontalen Ansatz verfolgt, ist es eine besondere Herausforderung, diese in die bisher sektoral ausgerichtete Aufsicht zu übersetzen. Wie eine nutzer:innenfreundliche und bürokratiearme Umsetzung der KI-Verordnung in Deutschland gelingen kann, wird uns daher intensiv beschäftigen – sowohl in weiteren einordnenden Studien als auch durch das Schaffen von Austausch- und Experimentierräumen.

Wir schaffen Evidenz zur gelingenden Umsetzung der KI-Regulierung und regen zur nutzerfreundlichen Ausgestaltung an.

Austausch- und Experimentierräume haben wir in den vergangenen zwei Jahren auch im Kontext von Innovationen in der Sozialwirtschaft geschaffen. Denn Deutschlands soziale Dienstleistungen – ob in der Pflege, der Kinderbetreuung oder der sozialen Beratung – werden von Akteuren getragen, die kaum Ressourcen zur Verfügung haben, um Innovationen gemeinsam mit ihren Mitarbeiter:innen und Klient:innen zu entwickeln. Um unseren Sozialstaat handlungsfähig zu halten und zugleich innovativer aufzustellen, braucht es Ressourcen, Zeit und Ideenreichtum. Gleichzeitig werden auf allen Ebenen Etats gekürzt, was nicht nur die Zukunftssicherung hemmt, sondern die Demokratie weiter schwächt. Denn dort, wo Selbstbestimmung und Optimismus Mangelware werden, setzt man auf extreme und vereinfachende „Lösungen“. Daher setzen wir uns in den nächsten Monaten weiter intensiv dafür ein, dass gemeinwohlorientierte Unternehmen mehr Spielraum für Innovation bekommen. Dafür braucht es sowohl in der Politik wie auch in den Unternehmen selbst die Erkenntnis, wie hilfreich Digitalisierungshandwerker:innen in den Strukturen der Sozialwirtschaft wären.

Wir unterstützen dabei, dass der Sozialstaat digitale Technologien bewusster für die Zukunftsfähigkeit nutzt.

Neben den Tech-Unternehmen, die durch profitorientierte Wahrscheinlichkeitsrechner die Aufmerksamkeit großer Teile der Bevölkerung beeinflussen, haben auch autoritäre Staaten die Vorzüge von Überwachung durch digitale Technologien erkannt. Beides setzt die demokratischen Systeme zunehmend unter Druck. Beide Entwicklungen verstehen wir als Appell, Stimmen in den Diskursen zu verstärken, die andere Blickwinkel beitragen und bislang zu wenig Gehör finden. Wir wollen einem übertriebenen KI-Optimismus mit Evidenz begegnen und dazu beitragen, dass mehr auf den konkreten Fortschritt für spezifische Sektoren und Branchen geschaut wird als auf spekulative Hype-Szenarien. Wir wollen verhindern, dass die digitale Transformation bestehende Ungleichheiten weiter verstärkt. Ebenso wollen wir gemeinsam mit Partner:innen einen Beitrag dazu leisten, dass digitale Technologien inklusiver und gerechter gestaltet und stärker fürs Gemeinwohl eingesetzt werden.