Shadows of demonstrating people projected on a wall, on the left side the Moldovan flag

Und täglich grüßt das Murmeltier in Moldau - scheitern pro-europäische Kräfte einmal mehr?

Von Mihai-Razvan Corman 

Das Experiment einer Koalition über geopolitische Konfliktlinien hinweg ist beendet. Nur fünf Monate nach Amtsbeginn brach die neue Koalition zusammen, in die viele große Hoffnungen gesetzt hatten. Erneut ist eine Regierung mit einem europäischen Reformkurs gescheitert. Moldau bleibt ein captured state in der Hand von Interessengruppen. Der zukünftige europäische Kurs steht in Frage.

Inhalt

Die ungewöhnliche Koalition pro-russischer und pro-europäischer politischer Kräfte, die ein neues Zeitalter einzuläuten schien, über geopolitische Konfliktlinien hinweg, ist gescheitert. Mit Lichtgeschwindigkeit wählte eine informelle Koalition aus pro-russischen Kräften und aus der sogenannten Demokratischen Partei eine vorgeblich technokratische, faktisch jedoch politische Regierung. So bleibt Moldau ein von  Interessengruppen kontrollierter Staat. Nur die Strippenzieher sind andere. Die jüngsten Ereignisse lassen an den Bekenntnissen Moldaus zu einer Zukunft mit Rechtsstaatlichkeit und Antikorruptionsreformen zweifeln.

Nach der Parlamentswahl am 24. Februar dieses Jahres bildete sich inmitten der Verfassungskrise vom Juni 2019 eine ungewöhnliche Koalition aus der pro-russischen PSRM (Sozialistische Partei) und der pro-europäischen ACUM (Rumänisch für „Jetzt“). Das verbindende Ziel war, den Oligarchen Vladimir Plahotniuc zu entmachten. Seit 2009 hatte der Vorsitzende der Demokratischen Partei die wichtigsten Staatsinstitutionen unter seine Kontrolle gebracht. In einem für die Region seltenen Konsens einigten sich die EU, Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika die neue Regierung zu unterstützen. 

Unter der Führung von Premierministerin Maia Sandu verbesserte die neue Regierung innerhalb kürzester Zeit ihre Beziehungen zum Westen erheblich. Sandus Glaubwürdigkeit als reformorientierte Politikerin öffnete Türen in Brüssel, Washington und wichtigen europäischen Hauptstädten und brachte Zusagen finanzieller Unterstützung. Nachdem die EU 2018 ihre Makrofinanzhilfe aufgrund der schlechten Zustände in der Politik hatte einfrieren lassen, legte die Europäische Kommission das Budgethilfepaket neu auf „als Ausdruck der Unterstützung für die Umsetzung von wichtigen Reformen zur Erhöhung demokratischer Standards und zum Schutz der Rechtstaatlichkeit“. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) bewilligte eine Darlehenstranche, weil Moldau Reformfortschritte gemacht und makroökonomische Stabilität erreicht habe.  

Angesichts der Priorität der von ACUM dominierten Regierung, in Moldau die Korruption zu bekämpfen und eine unabhängige Justiz zu schaffen, rückte das Verfahren zur Ernennung des Generalstaatsanwalts in den Mittelpunkt der angestrebten Reformen. Im Rechtssystem Moldaus ist die Generalstaatsanwaltschaft von herausragender Bedeutung. In der Vergangenheit Plahotniuc hörig, war sie seine Speerspitze gegen politische Opponenten und Deckmantel für diverse Korruptionsschemata. Gemäß der Verfassung trägt die Generalstaatsanwaltschaft „zur Rechtspflege und Verteidigung der Rechte, der Freiheit und der legitimen Interessen von Individuen, der Gesellschaft und des Staates“ bei. Plahotniuc hatte die größtenteils korrupte Institution jedoch als Spielball für politische und persönliche Interessen missbraucht. 

Moldau sucht den Generalstaatsanwalt – das gescheiterte Auswahlverfahren

Die Gesetzesänderungen, die ACUM und die Sozialisten im September verabschiedeten, sahen zusätzliche Kontrollmechanismen im Ernennungsverfahren für den Generalstaatsanwalt vor. Anstatt einseitig durch den Obersten Rat der Staatsanwälte sollte der Generalstaatsanwalt aus einer Liste von Kandidaten bestimmt werden, vorgeschlagen von einer unabhängigen Kommission aus Rechtsexperten und Vertretern der Zivilgesellschaft unter der Leitung des Justizministeriums. Das abgeänderte Verfahren führte jedoch nicht zu der erhofften gut organisierten, transparenten, fairen und objektiven Ernennung. Noch bevor die Auswahlkommission einen Kandidaten identifizieren konnte, brach das Justizministerium das Verfahren ab, wegen Unregelmäßigkeiten einschließlich eines Sabotageakts durch eine unverhältnismäßig hohe Punktevergabe. In den vorangegangenen Monaten war es den Sozialisten zudem gelungen, das von Plahotniuc hinterlassene Machtvakuum nach und nach mit verlässlichen Anhängern zu füllen - durch Besetzungen des Verfassungsgerichts und des Nationalen Antikorruptionszentrums. Das gescheiterte Auswahlverfahren zusammen mit der wachsenden Enttäuschung im pro-europäischen Lager über das stillschweigende laissez-faire von ACUM trugen auch zur Niederlage des pro-europäischen Kandidaten bei der Bürgermeisterwahl in Chișinău, der Hauptstadt Moldaus, Anfang November dieses Jahres bei. 

Unter diesen Umständen brachte Premierministerin Sandu einen Gesetzesentwurf ein, der der Regierung die Verantwortung für die Ernennung des Generalstaatsanwalts übertragen sollte. Das Gesetz hätte Sandu persönlich befugt, mindestens zwei Kandidaten für das Amt des Generalstaatsanwalts zu bestimmen und dem Obersten Rat der Staatsanwälte vorzuschlagen. Dieser hätte dann dem Präsidenten Moldaus eine Kandidatur zur Ernennung vorgelegt. Diese Kompetenzanmaßung begründete Sandu mit der „Erhöhung des Vertrauens der Öffentlichkeit […] und einer allgemein demokratischen Legitimation des Auswahlverfahrens“ und dem Ziel eines politisch unabhängigen Generalstaatsanwaltes. 

Die von ACUM angestrebte Justizreform sorgte für Spannungen, sowohl bei den Sozialisten als auch bei der Demokratischen Partei. Seit September planten Sozialisten und Demokraten insgeheim, ACUM abzulösen. So kam der Misstrauensantrag der Sozialisten wenig überraschend. Die pro-russischen Kräfte  warfen Sandu vor, einen von ACUM kontrollierten Generalstaatsanwalt ernennen, die öffentliche Meinung von eigenem Versagen ablenken und sich medienwirksam für die Präsidentschaftswahl 2020 positionieren zu wollen. Die Demokraten halfen dabei, den Antrag im Parlament zu verabschieden. Die scheidende Premierministerin erklärte, sowohl Sozialisten als auch Demokraten hätten durch das Misstrauensvotum ihre Angst gegen die Justizreform öffentlich gemacht. 

Die neue Regierung Moldaus – Zugpferd für die Präsidentschaftswahl 2020 im Schafspelz einer Technokratenregierung

Trotz der öffentlichen Darstellung ist die neue Regierung nicht apolitisch oder technokratisch, wenngleich die Mehrheit der Regierungsmitglieder kompetente und erfahrene Profis sind. Moldaus Präsident und faktischer Vorsitzender der Partei der Sozialisten Igor Dodon ernannte seinen Berater Ion Chicu zum neuen Premierminister. Zügig und vorgeblich harmonisch bestätigten Sozialisten und Demokraten das neue Kabinett. Weil beide Parteien keine Koalition eingegangen sind, ist die neue Exekutive eine von den Sozialisten getragene Minderheitsregierung. Der überwiegende Teil des Kabinetts hatte zuvor unterschiedliche Beraterfunktionen in Dodons Präsidialverwaltung oder vor der letzten Parlamentswahl in der von der Demokratischen Partei geführten Regierung gedient.

Für die neue Regierung hat Dodons Wiederwahl bei der Präsidentschaftswahl im Herbst 2020 oberste Priorität. Deshalb ist das Regierungsprogramm nur auf ein Jahr angelegt und darauf fokussiert, ausländische Investitionen ins Land zu bringen, die Verkehrswege in Moldau (wieder)aufzubauen und Sozialausgaben zu tätigen bzw. Gehälter und Renten zu erhöhen. Teile des Sozialpakets plante bereits die Sandu-Regierung. Nach dem Regierungswechsel kann nun Dodon die Sozialausgaben beim Wähler als seinen Erfolg verkaufen. Höhere Beliebtheitswerte sind ihm sicher. 

Zwischen Baum und Borke – ACUM nach der Parlamentswahl 2019

Von Beginn an war ACUM in einer schwierigen Lage. Bei der Parlamentswahl im Februar 2019 gelang es der pro-europäischen Partei, das Vertrauen von 27 Prozent der Bevölkerung zu gewinnen und ins Parlament einzuziehen – ein überraschend gutes Ergebnis für die neue politische Plattform. Doch dem Block fehlte ein glaubwürdiger, pro-europäischer Koalitionspartner. ACUM entschied sich für das kleinere Übel und ging eine strategische Allianz mit den Sozialisten ein, um den mächtigen Oligarchen Plahotniuc loszuwerden.

In den letzten Monaten blieb der Block jedoch isoliert in seinen Reformbestrebungen. Es kristallisierte sich heraus, dass die Sozialisten nicht einmal im Ansatz vorhatten, das korrupte Justizsystem zu bereinigen. Und auch wenn innerhalb der Demokratischen Partei ein Reformprozess im Gange ist, bleibt unklar, ob und inwieweit Plahotniuc immer noch Einfluss auf die Partei nimmt. Angesichts des wichtigsten  ACUM-Wahlversprechens und der Erwartungen in der Bevölkerung stand ACUM unter Handlungsdruck. 

"Another one bites the dust" – Pro-Europäer scheitern erneut mit Reformen

Das Handeln von ACUM war fehlerhaft. Es gelang dem proeuropäischen Block nicht, Allianzen zu schmieden und Kompromisse zu schließen.

Erstens erfordert ein komplexes und vielschichtiges Unterfangen wie die Bekämpfung von Korruption und die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit Handlungen an vielen Fronten sowie langanhaltende, abgestimmte und kumulative Bemühungen und die Unterstützung einer großen Bevölkerungsmehrheit. Dies trifft gerade auf ein Land wie Moldau zu, in dem Alltagskorruption sowie Korruption auf höchster Ebene die Regel in vielen Sektoren der Verwaltung sind, aber auch in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Unter diesen Bedingungen sind politische Bündnisse mit den vorhandenen Akteuren unentbehrlich. Die Gelegenheit dazu verpasste ACUM im Juni dieses Jahres, als sich  Sozialisten und Demokraten eine politische Schlammschlacht lieferten, nachdem Koalitionsgespräche gescheitert waren. Anstatt beide Parteien politisch gegeneinander auszuspielen und eine strategische Allianz mit den reformwilligen Demokraten zu bilden, um Dodons Macht zu beschränken, verweigerte sich ACUM jeglichen Gesprächen.

Zweitens war Sandus Initiative zweifelhaft, das Ernennungsverfahren für den Generalstaatsanwalt zu ändern. Die Verfassungsmäßigkeit des entsprechenden Gesetzes stand in Frage, obschon es im Einklang mit internationaler Rechtspraxis sowie der Rechtsmeinung der Venedig-Kommission in anderen Fällen stand. Staaten, die Gesetzesänderungen zur Ausweitung der Handlungsbefugnisse des Premierministers im Bereich des Strafrechts durchführten, änderten zuvor ihre Verfassungen.

Drittens setzte Sandu ihren Koalitionspartner, die Sozialistische Partei, unter enormen politischen Druck und ging so mit dem Gesetzesvorhaben ein hohes Risiko ein. Gemäß der Verfassung Moldaus war die Absetzung der Regierung der einzige Weg, das automatische Inkrafttreten des eingebrachten Gesetzes zu verhindern.

Indem der Block das politische Schicksal der gesamten Regierung an das rechtlich sowie politisch gewagte Gesetzesvorhaben knüpfte, verlor ACUM sich in einem hoffnungslosen Alles-oder-nichts-Ansatz, ohne zuvor Verhandlungs-, geschweige denn Koalitionsversuche unternommen  zu haben. Der Block handelte vollkommen losgelöst von den Realitäten. Ähnlich wie die “Allianz für Europäische Integration”, die es zwischen 2009 und 2016 nicht schaffte, einen unumkehrbaren Reformprozess einzuleiten, scheiterte ACUM mit einer pro-europäischen Reformagenda. 

Wie weiter mit Moldaus Reformkurs und dem Europäischen Integrationsprozess?

In den Augen seiner Wählerschaft sowie seiner Partner im Ausland mag der pro-europäische Block seine Glaubwürdigkeit bewahrt haben. Nichtsdestotrotz verspielte ACUM die Möglichkeit, als wirksames Gegengewicht zu den Sozialisten zu handeln. Stattdessen befinden sich diese nun auf der Höhe ihrer Macht.

Die Zeit wird zeigen, ob ACUMs Vorgehen sich politisch auszahlt. Vorläufig ist der Block auf einem steinigen Weg. Maia Sandu kündigte an, den Kampf auf den Straßen und Barrikaden fortzuführen. Trotz ihrer Niederlage gegen Dodon 2016 zeigt sie sich optimistisch hinsichtlich ihrer Chance, in einem möglichen zweiten Anlauf 2020 Präsidentin der Republik Moldau zu werden.

ACUM steht mehreren Herausforderungen gegenüber. Der Block wird ohne eine gute Ausgangsposition und ohne garantierte Medienaufmerksamkeit Wahlkampf führen müssen. Die Gefahr ist groß, dass ACUMs Anhänger nach der Niederlage gegen die Sozialisten und dem Scheitern der Antikorruptionsreformen demoralisiert sind. Die pro-europäischen Kräfte müssen die dringend nötigen Reformen sowie dauerhafte Kritik angesichts deren Ausbleibens im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung halten, sich scharf von ihrem früheren Koalitionspartner abgrenzen und die eigenen Wähler mobilisieren, vor allem über die Hauptstadt hinaus. Andernfalls droht ACUM ein böses Erwachen.

Auf der anderen Seite kontrollieren die pro-russischen Kräfte das Präsidialamt und die Exekutive, einschließlich der Sicherheitsdienste und des militärisch relevanten Verteidigungsministeriums. Die Sozialisten genießen zudem eine vorteilhafte Position im Parlament. Die Demokraten dagegen befinden sich in einer Zwickmühle. Angesichts der Ablehnungshaltung von ACUM und der zurzeit schlechten Umfragewerte der Demokratischen Partei haben sie keine andere Wahl als die informelle Koalition mit den Sozialisten fortzuführen und Neuwahlen zu vermeiden. Dodons Ernennung eines ehemaligen Parlamentariers der Demokratischen Partei zum neuen Generalstaatsanwalts, nach der Wiederaufnahme des kompromittierten Auswahlverfahrens, ist ein Zugeständnis an die Demokraten. 

Schließlich sind die Sozialisten auch auf der lokalen Ebene erfolgreich. Anfang November schaffte es ein sozialistischer Kandidat, Bürgermeister von Chișinău zu werden. Zudem gewann die Sozialistische Partei in mehr regionalen Zentren als jede andere politische Partei. Dieser Siegeszug dürfte das Potential der pro-russischen Kräfte noch steigern, ihre Anhänger bei der Präsidentschaftswahl 2020 zu mobilisieren.  

Zurück zwischen die alten geopolitischen Konfliktlinien?

ACUM hat das Vermögen eingebüßt, ein ernsthaftes Gegengewicht zu den Sozialisten zu sein, den zuverlässigen Interessenvertretern Moskaus. Mit dem Ende des Experiments einer geopolitisch übergreifenden Koalition kehrt eine Phase des geopolitischen Alltags zurück. Russlands langfristiges Ziel ist es, durch Energie-, Infrastruktur- und Handelsabkommen Moldau in der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verankern.

Das Präsidialamt ist der Schlüssel für die Sozialisten und für Moskau, um eigene Ziele zu erreichen. Dodon und seine Sozialisten wollen ihre Macht festigen. Die Konsolidierung der politischen Macht der Sozialisten wiederum macht Moskau den Weg frei, das postsowjetische Moldau zurück in die eigene Umlaufbahn zu bringen und den eigenen Einfluss in der Region zu erhalten. Das bedeutet in erster Linie, Moldau an der weiteren Integration in westliche politische, handels- und militärische Strukturen zu hindern, einschließlich der EU, des IWF und der NATO.

In diesem Kontext ist der erste offizielle Besuch des neuen Premierministers in Moskau zu verstehen, von woher er Zusagen für ein günstigeres Gasabkommen mitbrachte. Die moldauischen Konsumenten werden angesichts der anstehenden Wintersaison erfreut sein.  Russland erklärte sich ebenso bereit, Handelsbeziehungen mit Moldau zu erleichtern. Russische Regierungsbehörden sollen dazu die Liste zollfreier, von Moldau exportierter Güter erweitern und zusätzliche Ausfuhren genehmigen.

Bis zur Präsidentschaftswahl jedoch ist es wahrscheinlich, dass die Sozialisten eine Schaukelpolitik zwischen Russland und der EU betreiben werden. Obwohl die öffentliche Meinung in Moldau zwischen der EU und Russland geteilt ist, wird die EU als unentbehrlicher Wirtschaftspartner gesehen. Ein ausschließlich pro-russischer Wahlkampf würde Wählerstimmen kosten und die Mitte der Gesellschaft verfehlen. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung der neuen Regierung zu sehen, eine geopolitisch neutrale Außenpolitik verfolgen und das Assoziierungsabkommen mit der EU weiter umsetzen zu wollen.

"It’s the money, stupid" – Wie man westliche Unterstützung strategisch nutzen kann

ACUMs politischer Wille, Korruption zu bekämpfen und eine integre Justiz zu schaffen, hat sich als  Illusion herausgestellt, die die Sozialisten geschickt als Köder für internationale Budgethilfen nutzten. Seit Juli 2019 zahlte die Europäische Kommission €83.89 Millionen an Frau Sandus Regierung aus. Der IWF überwies weitere €41.7 Millionen im September 2019. Beide Auszahlungen sollen Moldau unterstützen, Korruption zu bekämpfen, die öffentliche Verwaltung und den Energiesektor zu modernisieren sowie das Geschäftsklima zu verbessern.

Die Auszahlungen spielen den Sozialisten in die Karten. Nach dem Regierungswechsel beschloss das Parlament das Budget für 2020, das teure Infrastrukturprojekte und Sozialausgaben finanziert. Es sieht ein Defizit von über €366 Millionen vor, eine erhebliche Neuverschuldung, die externe Partner auffangen sollen. Trotz der öffentlichen Ankündigung eines Darlehens aus Russland in Höhe von $500 Millionen bleibt fraglich, wann und ob es zur Auszahlung kommen wird. Moldau müsste die halbe Milliarde zudem zurückzahlen. Zuschüsse der EU muss Moldau nicht zurückzahlen.

Die Europäische Kommission hat sich klar von der neuen Regierung distanziert. Sie befand die neuesten politischen Entwicklungen „besorgniserregend für den Reformprozess im Land“ und kündigte an, zukünftig mit denjenigen Kräften zusammenzuarbeiten, die weiter reformieren wollten. Brüssel versteht seine bilateralen Beziehungen zu Moldau auch künftig als „auf dem Prinzip der Konditionalität und dem Respekt vor Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Standards“ basierend. 

Die Kommission verhandelt derzeit das nächste langfristige Budget für das auswärtige Handeln der EU für 2021 bis 2027. Der mehrjährige Finanzrahmen sieht auch finanzielle Unterstützung für Moldau vor. Das Geld könnte sinnvoll für wichtige Infrastrukturprojekte eingesetzt werden, die die Grundlage für eine nachhaltige ökonomische Entwicklung sein und greifbare Ergebnisse für die moldauischen Bürger liefern könnten. Die EU sollte jedoch vorsichtig sein, sich nicht von der Schaukelpolitik der Sozialisten täuschen zu lassen.

Es gilt, das Vorgehen der neuen Regierung aufmerksam zu verfolgen und streng und kohärent ex-ante Konditionalität anzuwenden. Bei Verstößen gegen EU-Bedingungen – wie Achtung von Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Prinzipien – und fehlenden Justiz- und Antikorruptionsreformen, sollte die Kommission ihre Finanzhilfen stoppen. Auszahlungen sollten nur dann erfolgen, wenn Konditionen erfüllt und aufrechterhalten werden.

Die EU hat in den letzten Monaten die Partnerschaft mit der moldauischen Regierung wiederaufgenommen. Nun sollte sie zu einer Partnerschaft mit der moldauischen Bevölkerung zurückkehren. Angesichts des fehlenden politischen Willens der neuen Regierung, Reformen umzusetzen, muss die EU eine klare Position beziehen und den Dialog mit jenen moldauischen Bürgern, der Zivilgesellschaft und den lokalen Behörden suchen, die einen pro-europäischen Kurs verfolgen. 

Ein solcher Ansatz wäre  zudem eine klare Botschaft der Unterstützung an den pro-europäischen Block ACUM. Er könnte auch das politische Kalkül der Demokraten ändern und zu einer Koalition zwischen ACUM und reformorientierten Kräften innerhalb der Demokratischen Partei beitragen. Das würde das Gleichgewicht der Macht ändern. Andernfalls riskiert die EU zum Sieg Dodons bei der Präsidentschaftswahl 2020 beizusteuern und letztlich Moldau in die Hände Russlands zu treiben. 

Schlussfolgerungen

Ähnlich wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ scheint Moldau in einer sich wiederholenden, endlosen Schleife gefangen. Während ACUM, wie auch die reformorientierten Vorgängerregierungen, gescheitert ist, ehrgeizige Reformen voranzubringen, befinden sich die Sozialisten und die vorherigen autoritären Kräfte auf der Höhe ihrer Macht. Nachdem der "capo dei capi" Plahotniuc vor fünf Monaten seine Macht aufgab, bleibt Moldau dennoch ein Land dessen Geschicke Interessengruppen bestimmen und in dem lediglich die Strippenzieher andere sind.

Wenn die neue Regierung bis zur Präsidentschaftswahl 2020 im Amt bleibt und ACUM nicht in der Lage ist, von der festgefahrenen Position des Verneinens jeglicher Verhandlungen mit den Demokraten abzuweichen, sind die Chancen des Blocks gering, aus der harten Realität des Oppositionsdaseins zurückzukehren. ACUMs geringe Aussichten und die starke Ausgangslage der Sozialisten sind schlechte Neuigkeiten für Moldaus zukünftigen Reformweg.

All das sind optimale Bedingungen für Russland, seine geopolitischen Interessen zu verfolgen, für die Sozialisten, ihren Eigeninteressen nachzugehen und für Dodon, sich als „Vater der Nation“ von Moskaus Gnaden zu etablieren. Doch die Würfel sind noch nicht gefallen. Die Sozialisten haben ihre Macht noch nicht endgültig gefestigt und Russland hat erst begonnen, seine dominante Position in Moldau wiederzuerlangen.

Unter diesen Umständen ist die Außenpolitik der EU von großer Bedeutung für Moldaus Zukunft. Die Kommission sollte die Handlungen der Regierung streng überwachen und bei Rückfällen in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Antikorruption klar Position beziehen. Dieser Ansatz wäre im Einklang mit dem Anspruch der EU, eine Veränderungskraft in der Region sein zu wollen, sowie auch mit den lessons learnt aus der jüngsten Vergangenheit. Langfristig birgt dieser Ansatz auch das Potenzial, Moldau aus der Zeitschleife zu führen und dauerhaft auf den Pfad von Reformen zu geleiten.

Der Artikel gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

Über den Autor

Mihai-Razvan Corman ist Doktorand an der Universität in Gent, freiberuflicher Consultant für die Europäische Kommission und das Institute for European Democrats sowie Projektmanager beim Moldauisch-Deutschen Forum (fmg.md). Derzeit arbeitet er im Rahmen des BACID Fund Projekts „Capacity building in the countries of the Western Balkans and the Republic of Moldova“ zu Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsproblemen in Moldau in der öffentlichen Auftragsvergabe.

Er wurde in Moldova geboren und lebt seit September 2019 in Brüssel. Zuvor hat er Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin und am College of Europe (Natolin) studiert.