Vier Parteien werden die 101 Abgeordnetenmandate unter sich aufteilen, zwei alte und zwei neue: Die alten sind die sog. Demokratische Partei (PDM), die weder demokratisch noch pro-europäisch ist, und die Sozialisten, die seit 2016 mit Igor Dodon den (nach seiner eigenen Darstellung Kreml-freundlichen) Präsidenten stellen. Chef der PDM ist der Oligarch Wladimir Plachotnjuk, der die Institutionen Moldaus, inklusive der Justiz, fest im Griff hat. Neu im Parlament sind das Oppositionsbündnis Acum (Rumänisch für Jetzt) zweier tatsächlich reformorientierter Parteien unter der Leitung von Maia Sandu und Andrei Năstase, und die Partei Şor, die aber nicht unabhängig von der PDM agiert. Ihr Namensgeber Ilan Şor wird neben Plachotnjuk des „Bankraubs des Jahrhunderts“ beschuldigt, als 2015 1 Milliarde US-Dollar aus Moldauischen Banken verschwanden und das ärmste Land Europas in eine Schuldenkrise stürzte.
Ganz konkret hängt von der Anerkennung der Wahl als fair und frei ab, ob Moldau von der EU bislang nicht ausgezahlte Makrofinanzhilfe in Höhe von 100 Millionen Euro an Krediten und Zuschüssen sowie weitere Zuschüsse von 36,3 Millionen Euro als Budgethilfe erhalten wird. Beide Millionenbeträge sind aber vergleichsweise bescheidene Summen im Vergleich zu jenem Geld, das das Organisierte Verbrechen durch Moldau schleust, etwa zwischen 2010-2013 im „Laundromat“ getauften Schema geschätzte 37 Milliarden RUB, nach heutigem Kurs etwa eine halbe Milliarde US-Dollar. Das beunruhigt sogar den Kreml, der Wladimir Plachotnjuk neben der Geldwäsche und der Organisation einer kriminellen Vereinigung sogar der versuchten Tötung beschuldigt und am liebsten nach Moskau ausgeliefert sähe.
Bedrohte demokratische Ordnungen
Das Problem ist also deutlich größer, als dass es die erwähnten EU-Gelder und weitere bilaterale Zuschüsse richten könnten, selbst bei optimaler Verwendung. Manche Beobachter sprechen von einem „Mafia-Staat“ an der EU-Grenze. Und weil Moldau eine besondere Beziehung zum EU-Mitglied Rumänien hat, haben die Akteure auch mindestens einen Fuß in der EU, etwa, weil es inzwischen in Moldau Gesetz ist, für nur 250.000 Euro die moldauische Staatsangehörigkeit erhalten zu können.
Dass die reformorientierten Parteien des Oppositionsbündnisses aus dem Stand mit über 20 Prozent ins Parlament gelangt sind ist eigentlich eine Sensation. Doch der Erfolg wird ihnen nicht nutzen in einem Land, in dem ihre politischen Gegner die Grenzen verwischt haben zwischen ihnen gefügigen Staatsorganen und Kriminalität. Im selben Land, in dem der Durchschnittslohn etwa 200 US-Dollar beträgt, verfügen einzelne Mächtige über so viel Geld und Skrupellosigkeit gleichermaßen, dass sie den politischen Prozess monopolisiert haben und keinen demokratischen Wettbewerb und Wechsel an der Staatsspitze mehr zulassen. Im Präsidentschaftswahlkampf 2016, den Maia Sandu mit nur 67,5 Tausend Stimmen verlor, betrieb der von Plachotnjuk kontrollierte Medienapparat eine Schmutzkampagne gegen die europafreundliche Kandidatin. Den selbsternannten Putin-Freund Dodon schienen die Medien nicht zu bemerken.
Die Abstimmung nach einem auf Druck der PDM neu eingeführten gemischten Wahlsystem bildet nicht die verhältnismäßige Wahl der Moldauerinnen und Moldauer ab. Sachliche Gründe gab es nicht für die Wahlrechtsänderung, die im kleinen Moldau für 51 der 101 Parlamentsmandate Mehrheitswahlkreise einführte, in denen 15.000 Stimmen einen Platz im Parlament entscheiden. Mit 10-20 EUR für den Kauf einer Stimme ist ein Platz im Moldauer Parlament mit 150.000-300.000 Euro preiswert im Vergleich zum Nachbarland Ukraine. In dem Wahlkreis, in dem Andrei Năstase zur Wahl stand, verwirrte zudem ein Alternativkandidat mit fast identischem Namen potentielle Wähler. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzten. Es war klar, dass Acum in den Mehrheitswahlkreisen schlecht abschneiden würde. In der Ukraine versuchen neue politische Kräfte seit 2014 gerade wegen der Anfälligkeit der Mehrheitswahlkreise mittels des Einsatzes sog. „administrativer Ressourcen“ das gemischte Wahlsystem abzuschaffen. Doch bislang ist der Widerstand der alten politischen Kräfte ungebrochen.
Spätestens mit der Veröffentlichung der Nachwahlberichte ist klar, dass erhebliche Zweifel am fairen Verlauf der Parlamentswahl bestehen. Laut den Wahlbeobachtern von Promolex sind die Protokolle aus den Wahllokalen zu 6,8 Prozent fehlerhaft (Listenergebnisse) bzw. zu 7,6 Prozent (Direktwahlergebnisse). Zum Vergleich: Bei der Präsidentschaftswahl 2016 lag diese Quote bei 1,6 Prozent. Die European Platform for Democratic Elections spricht von den „schlechtesten Wahlen seit Jahren – mit einer Verdoppelung von ‚Zwischenfällen‘ (incidents) am Wahltag im Vergleich zur Präsidentschaftswahl 2016“.
(K)eine europäische Zukunft in der EU-Nachbarschaft?
Die Wahl mit ihren Verletzungen hinzunehmen bedeutet, auch die unfaire Schwächung von Acum zu akzeptieren – für eine vermeintlich stabile Lage in Moldau in Form einer Oligarchenallianz. Mihai Popşoi nennt das im Eurasia Daily Monitor zwischen „angeblicher Stabilität“ und dem „Versprechen von Demokratie“ entscheiden (pretense of stability versus promise of democracy).
Dabei hat das Oppositionsbündnis alles richtiggemacht. Beide Parteichefs ziehen an einem Strang und bekriegen sich nicht. Ihr beachtlicher Erfolg, aus dem Stand mit über 20 Prozent ins Parlament einzuziehen, wiegt vor dem Hintergrund der gegen sie gerichteten Angriffe und ihrem Mangel an Geld und Medienpräsenz umso stärker.
Das Assoziierungsabkommen jedenfalls ist kein Instrument, das sich zur Demokratieförderung eignet – wenn in einem Transformationsland der politische Wille jener fehlt, die die Strippen ziehen. Die EU und westliche Beobachter machen zudem auch in Moldau den Fehler, eine komplexe Situation auf einen Richtungsstreit zwischen Brüssel und Moskau zu reduzieren anstatt auch den Kampf im Land selbst zwischen Demokraten und Autokraten in den Fokus zu nehmen. Dabei gibt es durchaus Anzeichen, dass jene, die sich verschiedenen Lagern zuordnen, zusammenarbeiten: Plachotnjuk, der vorgebliche Europäer, und Dodon, der nicht müde wird, seine guten Beziehungen zu Präsident Putin zu betonen. Das Ergebnis ist eine Grauzone mitten in Europa, in der das organisierte Verbrechen und Korruption herrschen, zum persönlichen Vorteil einzelner Mächtiger.
Wenn die EU weiter die Augen vor zweifelhaften Entwicklungen im Nachbarland Moldau zudrückt und Stabilität beschwört anstatt besorgniserregende Entwicklungen zu benennen und Grenzen zu setzen, verfestigen sich zweifelhafte und kriminelle Strukturen weiter – und es wird immer schwieriger, sie einzuhegen.
Gleichzeitig werden bei der nächsten Wahl nicht mehr genügend Bürgerinnen und Bürger in Moldau übrig sein, um für die Demokratie zu stimmen – sondern ausgewandert, weil die Menschen vor Ort spüren, dass ihre reformorientierten politischen Vertreter gar keine reale Chance haben gegen jene, die den Status quo aufrechterhalten bzw. in ein autoritäres Regime überführen wollen.
So ist die Wahl in Moldau ein schlechter Vorbote für die Ukraine, wo man in wenigen Wochen den Präsidenten und im Herbst das Parlament wählt – und die Oppositionsparteien von einem Ergebnis wie Acum träumen. Das kleine Moldau führt aber vor, dass jene, die europäische Werte in ihrem Land und in der internationalen Zusammenarbeit wertschätzen, in nur imitierten demokratischen Prozessen keine Veränderungen herbeiführen können.
Bestandsaufnahme EU-Nachbarschaft
Nach zehn Jahren Östliche Partnerschaft sind deshalb neue Ideen vonnöten und eine Strategie, für die Kooperation mit Nachbarländern, in denen demokratische Ordnungen bedroht sind.
Es stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit zwar nachvollziehbarer Reformvorschläge und der Förderung von Nichtregierungsorganisationen und Zivilgesellschaft angesichts fehlenden politischen Willens und der Dominanz alter Kräfte, die weiter über Handlungsspielräume bestimmen und Regierung und Verwaltung interessengeleitet betreiben.
Die Methoden der Wahlbeobachtung berücksichtigen inzwischen, dass Eliten das Wahlsystem manipulieren und Mandate verkaufen. Allerdings sollte Social Media Monitoring weiterentwickelt werden, so Stefanie Schiffer, die Leiterin der internationalen Wahlbeobachterplattform EPDE. Denn die Sozialen Medien sind nicht mehr nur eine vergleichsweise preiswerte Möglichkeit für Oppositionelle ohne Medienzugang, auf sich aufmerksam zu machen, sondern werden auch massiv manipuliert und zur Diffamierung politischer Gegner eingesetzt.
Deshalb gilt es auch, die Unterstützung demokratischer politischer Kräfte und politische Bildung neu zu denken und vorhandene Instrumente – etwa Politische Stiftungen der EU Mitgliedsländer und der USA, europäische politische Parteien und unbürokratische europäische Demokratieförderinstrumente – gezielter und strategischer einzusetzen.