Amerikanische Flaggen

Die Gefahr eines chaotischen, juristischen Nachspiels

Die Chancen einer Wiederwahl stehen für Präsident Donald Trump auch nach seiner wundersamen Corona-Erkrankung nicht gut. Doch selbst wenn der demokratische Herausforderer Joe Biden gewinnt: Die USA stehen möglicherweise vor einer schweren demokratischen und konstitutionellen Krise.

Von Karola Klatt

Angesichts wenig rosiger Wahlprognosen lässt der amtierende Präsident Donald Trump keine Gelegenheit aus, um offenzuhalten, ob er eine Wahlniederlage akzeptieren wird. Seine widerholten Versuche, die Wahlen schon im Vorfeld wegen des zu erwartenden hohen Briefwahlanteils als „manipuliert“ zu brandmarken, deuten daraufhin, dass er und die Republikanische Partei bereits an Argumentationen feilen, gegen einen Biden-Sieg gerichtlich vorzugehen. In diesem Zusammenhang könnte bedeutsam werden, dass Trump das Justizwesen in seiner Amtsperiode zu seinen Gunsten politisch umgebaut hat. Im diesjährigen Länderbericht der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung heißt es dazu: „In erster Linie, um sich selbst unantastbar zu machen, hat Trump politischen Einfluss mindestens auf die oberste Führungsebene im Justizministerium und in geringerem Maße auch auf das Außenministerium, die Geheimdienste und andere Behörden ausgeübt. So ernannte er zahlreiche (manchmal unqualifizierte) Loyalisten zu Bundesrichtern.“

Sein jüngstes Drängen, auch die durch den Tod der linksliberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg freigewordene Stelle am Obersten Gerichtshof noch vor der Wahl mit der erzkonservativen Richterin Amy Coney Barrett zu besetzen, muss in diesem Licht gelesen werden. Würde Barrett wie von den Republikanern geplant noch vor dem 3. November vom Senat bestätigt werden, wäre das Verhältnis der von Republikanern beziehungsweise Demokraten berufenen Richter an diesem wichtigsten Gericht der USA 6 zu 3. Barrett wäre die dritte Berufung ans Oberste Gericht, die auf eine Ernennung Trumps zurückgeht.

Briefwahlbestimmungen sind hart umkämpft

Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung könnte nach den Präsidentschaftswahlen am 3. November in vielen Bundesstaaten die Gültigkeit der Briefwahlstimmen werden. Experten erwarten, dass rund 80 der circa 250 Millionen Wahlberechtigten im Land angesichts der Corona-Pandemie ihre Stimme per Post abgeben werden. Die Regeln für die Briefwahl sind in den einzelnen Bundesstaaten sehr unterschiedlich. Lockerungen der Wahlgesetze, die für die Corona-Zeit eine Erleichterung der Abstimmung per Brief möglich machen sollen, wurden im Vorfeld der Wahlen von den Demokraten in mehr als zwei Dutzend Staaten erlassen oder gerichtlich eingefordert, während die Republikaner in zwanzig Staaten gerichtlich gegen bestehende Briefwahlbestimmungen oder die Aufhebung von Einschränkungen vorgegangen sind.

Mit einem Budget von 20 Millionen Dollar führen die Republikaner und Trumps Wahlkampfteam den juristischen Kampf gegen die Briefwahl. Hintergrund ist die Vermutung, dass vor allem Biden von einer hohen Wahlbeteiligung profitieren würde. In einigen Bundesstaaten ist die Stimmabgabe per Post bis zum Wahltag möglich und die Auszählung erfolgt erst in den Tagen danach. Es wird erwartet, dass sich die Verkündung eines Gewinners in diesen Staaten um ein bis zwei Tage verzögert. In besonders umkämpften Staaten mit rigiden Wahlgesetzen könnte es sogar Wochen dauern, bis ein Gewinner feststeht.

Ausübung des Wahlrechts wird zunehmend erschwert

Die SGI-Studie vergleicht Industrieländer auch hinsichtlich der Frage, inwieweit alle Bürger die Möglichkeit haben, von ihrem Recht auf Teilnahme an nationalen Wahlen Gebrauch zu machen. Innerhalb der letzten acht Jahre sackte der Wert der Vereinigten Staaten in diesem Indikator von 8 auf nur noch 5 von 10 möglichen Punkten ab. Schlechter wird der uneingeschränkte Zugang zur Ausübung des Wahlrechts nur noch in Ungarn bewertet. Zur Begründung stellen die Länderexperten fest: „Teil der Strategie der Republikanischen Partei ist seit 2019 mit allen rechtlichen Mitteln das Stimmrecht von Geringverdienern und Angehörigen von Minderheiten einzuschränken. Auf Initiative republikanischer Beamter wurden in Wisconsin und Georgia hauptsächlich in Gebieten, in denen Einkommensschwache und Minderheiten leben, Hunderttausenden von Wählern aus den Wählerlisten gestrichen.“

Am 6. Januar 2021 müssen die Bundesstaaten ihre Wahlergebnisse an den Kongress übermitteln. Es bleibt abzuwarten, ob Staaten mit demokratischen Gouverneuren und republikanischen Parlamenten wie Michigan, Wisconsin oder Pennsylvania dazu in der Lage sein werden. Schon im Jahr 2000 entschied bei den Präsidentschaftswahlen letztendlich der Supreme Court über die Stimmenauszählung in Florida. Ein vergleichbarer Streit um das Auszählungsergebnis droht in diesem Jahr gleich in mehreren Bundesstaaten mit knappem Rennen zu entbrennen.

Parteienpolarisierung treibt in demokratische Sackgasse

Das eigentliche Problem der amerikanischen Demokratie ist die zunehmende Parteienpolarisierung, die das Land lähmt. Ohne Ausgleich der Interessen in den Kammern der Volksvertretung regiert der Präsident immer stärker von oben herab per Dekret. Das Wahlsystem der USA ist für einen derart hohen Grad der Parteienpolarisierung nicht gemacht. Es verlangt ein Mindestmaß an gutem Willen und Bereitschaft, der derzeit kaum zu erkennen ist.

In einer Atmosphäre, in der sich Republikaner und Demokraten unerbittlich bekämpfen, droht nicht nur ein Biden-Sieg das Land ins Chaos zu stürzen. Gelänge es Trump noch einmal, im letzten Moment entscheidende Swing Staaten für sich zu gewinnen und an der Macht zu bleiben, dann wird sich der Niedergang der Demokratie in den USA weitere vier Jahre fortsetzen und das Land weiter spalten. Die Länderexperten der SGI warnen diesbezüglich in ihrem USA-Bericht eindringlich: „Werden Trump und die Republikaner bei den Wahlen 2020 nicht besiegt, werden sie ihre politische Einflussnahme auf die Strafverfolgung höchstwahrscheinlich fortsetzen, Wahleinmischung aus dem Ausland tolerieren und die Stimmabgabe von Wählern aus Minderheiten behindern, um dauerhaften bei nationalen Wahlen im Vorteil zu sein. Dieselbe politische Partei, die sich seit Generationen als Verteidiger traditioneller konstitutioneller Werte präsentiert, könnte dann die Transformation des politischen Systems in eine autoritäre Scheindemokratie einleiten.“

Sollten sie sich die Prognosen bestätigen und es zu einem Machtwechsel im Weißen Haus und möglicherweise auch im Kongress kommen, dann stehen die Demokraten vor der epochalen Aufgabe, das Land zu einen und die US-amerikanische Demokratie so zu festigen, dass sie gegen zukünftigen autoritären Populismus besser geschützt ist.

Karola Klatt ist Wissenschaftsjournalistin und Redakteurin der SGI News und des BTI Blogs der Bertelsmann Stiftung.