Ein Auge mit einem eingepflanzten Computerchip

Europa im Wettstreit um Technologiehoheit

Wer in Zukunft seinen globalen Einfluss sichern will, muss bei technologischen Innovationen führend sein. Kann Europa in diesem Feld mit den USA und China mithalten?

Heute ist Politikern zunehmend bewusst, wie entscheidend es ist, auf dem Gebiet der technologischen Innovation den Ton anzugeben, will man die Souveränität der Bürger wahren. Europa tut sich schwer, mit der Dominanz vor allem der amerikanischen Technologieunternehmen zurechtzukommen und auf Skandale wie Steuervermeidung  und Missbrauch persönlicher Daten in sozialen Medien die passende Antwort zu finden.

Der französische Präsident bekräftigte neulich in einem Interview für das Technologie-Magazin Wired , dass auch die Künstliche Intelligenz (KI) für Europa entscheidend sei, ein Thema, mit dem sich normalerweise Science-Fiction-Autoren befassen und nicht Staatsmänner. Macron sagte, es sei sein "Ziel, die europäische Hoheit über KI wiederherzustellen." Er legte dar, dass "man eine aktive Rolle in der Revolution der KI übernehmen muss, wenn man die eigenen Gesellschaftsvorstellungen, die eigene Idee von Zivilisation, umsetzen will."  Von künstlichen Super-Intelligenzen gehen möglicherweise Gefahren aus, doch Vorreiter in diesem Feld verfügen über einen entscheidenden technologischen Vorteil: Eine Spitzenposition in KI zieht weitere Innovationen nach sich.

Die Europäische Union hat sich in den vergangenen Jahren nicht auf  eine passive Beobachterrolle zurückgezogen, sondern Erfolge erzielt und bewiesen, dass es ihr mit der erklärten Absicht, für ihre Bürger "Globalisierung zu gestalten", ernst ist. Seit Jahren übt die Kommission Druck aus und verhängt inzwischen Rekordstrafen von vielen Milliarden Euro, um die Technologie-Giganten zu fairen Steuerabgaben und zur Aufgabe monopolistischer Praktiken zu zwingen. Auch wenn das Europäische Parlament es Mark Zuckerberg bei seiner Befragung kürzlich in Brüssel leicht machte, schwierigen Fragen auszuweichen, könnte das unermüdliche Eintreten der Gemeinschaft für Datenschutz beim Facebook-Chef doch Wirkung hinterlassen haben. Bei vorangegangenen Anhörungen vor dem US-Senat sagte Zuckerberg, dass sein Unternehmen die europäischen Datenschutzregeln und Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre zum globalen Standard machen wolle.

Neue Herausforderungen für Europa

Langfristig könnten die europäischen Druckmittel gegen ausländische Technologie-Giganten an Kraft verlieren, wenn der europäische Anteil an der Weltwirtschaft schrumpft. Europa muss stärker auf Forschung und Innovation setzen, wenn es im Bereich der Technologie etwas zu bieten haben will. Auch hier war die Kommission nicht untätig, sondern hat Forschung und Innovation zu den Eckpunkten ihrer Strategie für Wirtschaftswachstum und Entwicklung gemacht. Es wurden Fördermittel aus den Bereichen Landwirtschaft und Regionalentwicklung in Programme für Innovation und Hochtechnologie umgeschichtet. Ein Beispiel dafür ist das Programm Horizon 2020, mit dem über 24 Milliarden Euro in Forschung, Technologie, Infrastruktur und höhere Bildung investiert werden.

Die Daten der Sustainable Governance Indicators der Bertelsmann Stiftung (SGI) belegen, dass Europa bei dem Versuch, seine technologische Erfolgsgeschichte voranzutreiben, vor besonderen Herausforderungen steht. Auch wenn der Kontinent im Weltvergleich bei den Innovationen gut abschneidet, bleibt er doch deutlich hinter Nordamerika und Ostasien zurück. In die SGI-Bewertung fließen Faktoren wie die politischen Rahmenbedingungen, Ausgaben für Forschung und Entwicklung und die Anzahl von Patenten und Forschern mit ein. Nach diesen Kennzahlen erreichen die europäischen Länder einen durchschnittlichen Wert von 5.2, während die USA auf 7.2 und Japan sogar auf 7.6 kommen.

Was Europa zurückwirft, sind vergleichsweise geringe Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie weniger Patentanmeldungen. Innovationspolitik gestaltet sich wie vieles auf dem Kontinent ungleich und uneinheitlich. Während Deutschland und Schweden zur Weltspitze gehören, sind Länder wie Bulgarien und die Slowakei auf einer Ebene mit den am schlechtesten abschneidenden Entwicklungsländern.

Inzwischen mehren sich Anzeichen, dass Europa zurückfällt. Im privaten Sektor können europäische Unternehmen nicht im gleichen Umfang wie die amerikanische Konkurrenz von einem dynamischen Kapitalmarkt profitieren. Letztlich erklärt das, warum es für die amerikanischen Technologie-Giganten Google, Facebook, Apple oder Amazon keine europäischen Äquivalente gibt. China dagegen hat dank seines riesigen homogenen Marktes, seiner protektionistischen Politik und heimischen Innovationskraft Alternativen entwickelt, wie die Suchmaschine Baidu und den Messanger-Dienst Tencent, dessen Wert im letzten November auf 500 Milliarden US-Dollar geschätzt wurde und damit den von Facebook übertraf.

Wohin mit der KI?

Kein einziges europäisches Unternehmen hat es in die Top Ten der Computerhersteller geschafft, obwohl es auf dem Kontinent im Technologiebereich viele innovative Start-ups und dynamische Menschen gibt. In der Vergangenheit haben es europäische Anbieter sozialer Netzwerke, wie DailyMotion in Frankreich oder Twenti in Spanien, zwar zunächst geschafft, den nationalen Markt zu erobern, konfrontiert mit einem viel größeren amerikanischen Rivalen, sind sie jedoch nach und nach kollabiert. Gleichzeitig wurden innovative europäische Produkte, wie Skype oder Minecraft, von Microsoft aufgekauft.

Was Ki anbelangt, kommt auf Macron viel Arbeit zu, denn sie ist tatsächlich komplett in amerikanischer und chinesischer Hand. Nach einem Bericht von CB Insights gehen 48 Prozent der weltweiten Fördersumme für KI an chinesische Start-ups und weitere 38 Prozent an amerikanische. Die USA und China verfügen darüber hinaus über die größte Anzahl an Superrechnern. Hier liegt China sogar noch deutlich vorn. Europa hat wegen seinem schwachen Risikokapitalmarkt in beiden Bereichen Nachholbedarf. 14,4 Milliarden US-Dollar wurden auf dem alten Kontinent 2015 investiert, verglichen mit 72,3 Milliarden in den USA und 49,2 Milliarden in China.

Die europäische Innovationskraft wird außerdem durch den Brexit in Mitleidenschaft gezogen werden. Großbritannien gehört technologisch und mit seinen Start-ups zur Spitzengruppe und leistet einen beträchtlichen Beitrag zum EU-Haushalt. Mit 4,8 Milliarden US-Dollar hatte das Vereinigte Königreich 2015  die höchsten Risikokapitalinvestitionen in Europa,  und zwar mehr als doppelt so viel wie Deutschland. Außerdem sind die meisten europäischen Technologie-Giganten in Großbritannien ansässig. Zusammen kommen die britischen Unternehmen, die mehr als 1 Milliarde US-Dollar wert sind, auf 49,9 Milliarden US-Dollar. Das ist weit mehr als Schweden, der Zweite in der Rangliste, erreicht. Die europäischen Länder werden sich also sehr anstrengen müssen, wenn sie im technologischen Wettkampf bestehen wollen.

Manche Hindernisse scheinen unüberwindbar. Der europäische Markt unterteilt sich anders als der amerikanische oder chinesische in nationale Märkte mit eigenen Kulturen, Sprachen und auch Vorschriften. Als multinationale Organisation kann die EU nicht so reaktions- und entscheidungsfreudig sein wie eine Staatsregierung, und schon gar nicht eine autoritäre wie im Fall Chinas.

Bestnoten für die europäische Forschung

Gleichwohl hat die EU auch etwas vorzuweisen. Den Mangel an Reaktivität versucht sie durch langjährige konsistente Politik wettzumachen. Nach Jahren sieht die Gemeinschaft endlich eine Wachstumsperiode aufkommen. Im Durchschnitt hat die Eurozone ein erstaunlich niedriges Haushaltsdefizit von weniger als 1 Prozent BIP und mit steigendem Wachstum werden die Defizite, ausgedrückt als Prozentsatz vom BIP, noch weiter fallen. Ganz im Gegensatz dazu setzen die USA und Japan schon seit längerem auf eine andere Strategie und erhalten ihr Wirtschaftswachstum durch hohe Staatsausgaben, was langfristig leicht zu einer Inflation führen kann. Ein Lichtblick könnte nach der langen Wirtschaftskrise der Eurozone auch die Festlegung auf ein Wachstumsmodell mit größerer makroökonomischer Disziplin sein, das – mit ein bisschen Glück – weniger anfällig gegen konjunkturelle Berg- und Talfahrten ist als die Modelle anderer hochentwickelter Volkswirtschaften es sind.

Die SGI stellen fest, dass viele europäische Staaten bei Forschung und Entwicklung zur Spitzengruppe zählen. Andere EU Länder können von diesen Best-Practice-Beispielen lernen. Die Mehreinnahmen, die das gegenwärtige Wirtschaftswachstum beschert, könnten verwendet werden, um die Kluft in den Ausgaben für Forschung und Entwicklung zu schließen. Auch mithilfe von EU-Mittel kann das Aufschließen mancher Ländern weiter gefördert werden.

Die europäischen Institutionen wissen, dass ein steiniger Weg vor ihnen liegt. Die Kommission hat es sich zur Aufgabe gemacht, den digitalen Binnenmarkt zu entwickeln und nationale Vorschriften, dort wo sie hinderlich sind, aus dem Weg zu räumen. 24 Mitglieder der EU unterzeichneten kürzlich ein Abkommen, mit dem sie sich zu einer Steigerung der Ausgaben für KI verpflichteten. Ein großes französisch-deutsches Forschungsprojekt in der Tradition von Airbus könnte hier ohne Zweifel Früchte tragen. Neue Pläne der EU Kommission sehen zudem vor, die Ausgaben für KI um 70 Prozent auf 500 Millionen Euro zu steigern und 2,1 Milliarden Euro in Risikokapital zu investieren.

Die negativen Folgen des Brexit lassen sich ein bisschen abmildern. Erstaunlich geschlossen und kampfstark gibt sich die EU in ihren Verhandlungen mit London. Beide Seiten würden davon profitieren, alle Veränderungen des Marktzugangs so klar und vorhersagbar wie möglich zu gestalten, die Zusammenarbeit in der Hochtechnologie und in Forschungsprojekten aufrecht zu erhalten und ganz allgemein die eigenen Innovationssysteme so offen und miteinander vernetzt zu  halten wie möglich. Mit einem bisschen guten Willen lässt sich ohne Zweifel im Interesse sowohl der britischen wie der europäischen Bevölkerung eine gute Lösung finden.

In einem Zeitalter, das von Technologie bestimmt wird, sei es kulturell, gesellschaftlich oder wirtschaftlich, ist es von essentieller Bedeutung, eine innovative Spitzenposition zu besetzen, um die Hoheit und die Werte der europäischen Bevölkerung zu wahren. Das schließt den Schutz der Privatsphäre ebenso ein wie den Datenschutz und soziale Gleichheit – alles Felder, in denen sich Europa als Wahrer von Bürgerrechten hervorgetan hat. Europa hat weltweit eine der höchsten Konzentrationen von Humankapital. Will es mit den USA und China mithalten, muss es dieses Potenzial nutzen und die Bemühungen in den Bereichen Innovation und Technologie bündeln.

Aus dem Englischen übersetzt von Karola Klatt.

Craig James Willy ist auf EU-Angelegenheiten spezialisierter Journalist, der regelmäßig Gastbeiträge für die Bertelsmann Stiftung schreibt. In den letzten Jahren verfasste er außerdem zahlreiche Medienanalysen für die Europäische Kommission.