schwedische Flagge am Mast, vor blauem Himmel

Unter Druck zu neuen Allianzen

Im Vorfeld der schwedischen Parlamentswahlen erhalten die populistischen rechten Schwedendemokraten immer mehr Zulauf und die traditionellen Modelle der Parteienzusammenarbeit befinden sich im Umbruch. Läuft Schweden Gefahr unregierbar zu werden?

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Kommenden Sonntag wählen die Schweden ein neues Parlament – und der politische Betrieb des Landes läuft seit Wochen auf Hochtouren. Den Anfang machte im Juli die Almedalswoche. Bei dieser Veranstaltung in Visby auf der malerischen Insel Gotland treffen einmal im Jahr schwedische Spitzenpolitiker aller politischen Parteien mit Interessensgruppen, Lobbyisten und dem breiten Publikum zusammen. Das Treffen kennzeichnet üblicherweise das Ende des politischen Jahres. In Wahljahren allerdings markiert die Almedalswoche, wo Allianzen geschmiedet oder bestätigt und Schützenlinien gezogen werden, den inoffiziellen Beginn des Wahlkampfes.

In der kommenden Ausgabe der Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann Stiftung schreibe ich über Schweden: "(..) es ist unschwer zu erkennen, dass das Zusammenspiel zweier Faktoren, nämlich ein politisches Systems unter Druck und die Herausforderung, eine funktionierende Mehrheit im Parlament sicherzustellen, die Strategiefähigkeit der Regierungsinstitutionen nicht gestärkt hat."

Institutionelle Regelungen und formale Richtlinien greifen nur bis zu einem gewissen Punkt. Schlussendlich hängt die politische Entscheidungsfindung davon ab, ob die beteiligten Akteure in der Lage sind, die Dinge auch umzusetzen. Entscheidend werden in dieser Hinsicht die Gespräche der Parteien nach der Wahl darüber sein, wie eine wirklich durchsetzungsfähige Regierung geformt werden kann.

Die Demoskopen sehen die rechten Schwedendemokraten bei 20 Prozent der Stimmen

Der Ausgang der schwedischen Parlamentswahlen ist sowohl außergewöhnlich unsicher als auch vorhersehbar. Die Unsicherheit rührt daher, dass niemand weiß, welche Parteien es über die 4-Prozent-Hürde schaffen und im Parlament (dem Reichstag) vertreten sein werden.

Bei mehreren Parteien wird es eng. Die Christdemokraten stehen in den Vorhersagen bei 2,5-3 Prozent, die Grünen sind nur knapp darüber. Sogar die Liberalen, die aktuell bei 6 Prozent gesehen werden, müssen sich Sorgen machen.

In anderer Hinsicht ist der Ausgang der Wahlen wiederum recht vorhersehbar. Die vier Parteien der "Allianz" – die Moderaten, die Christdemokraten, die Liberalen und die Zentrumspartei – werden voraussichtlich 40 Prozent der Stimmen erhalten. Dies wird sich mehr oder weniger mit den Stimmen die Waage halten, welche die Parteien auf der linken Seite des Parteienspektrums – die Sozialdemokraten, die Linkspartei und die Grünen – erhalten werden. Welche dieser zwei Parteiengruppen am Ende die Wahl gewinnen wird, kann niemand sagen. Darüber hinaus werden die Schwedendemokraten voraussichtlich rund 20 Prozent der Stimmen bekommen.

Damit würden das erste Mal in der schwedischen Geschichte drei Parteien – die Konservativen, die Sozialdemokraten und die Schwedendemokraten – jeweils 20-25 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.

Wie kann ein parlamentarischer Stillstand verhindert werden?

Das Ergebnis der Wahlen wird an den parlamentarischen Verhältnissen, die in den vergangenen vier Jahren herrschten, im Prinzip aber nichts ändern: Keine der etablierten Parteien verfügt über eine eigene Mehrheit.

Eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten (SD) wird aufgrund der Haltung der SD in Migrationsfragen und ihrer geschichtlichen Wurzeln in Neonazi-Gruppierungen generell als Entgleisung betrachtet. Daher bedarf es anderer Mittel, um Regelungen zu finden, die einen parlamentarischen Stillstand verhindern.

Die Frage, wie – oder wie nicht – mit den Schwedendemokraten umgegangen werden soll, ist daher eines der Hauptthemen des Wahlkampfs geworden. Theoretisch reichen die Formen des Umgangs von einer voll ausgewachsenen Partnerschaft in einer Koalition bis hin zur stillschweigenden Erwartung, dass die SD große Gesetzesvorhaben im Parlament unterstützt.

Vor zwei Jahren verkündeten die Moderaten, dass sie "Gespräche" mit den Schwedendemokraten haben werden. Das führte zu einem Aufschrei innerhalb weiter Teile des politischen Establishments. Selbst der Versuch, die Sache beizulegen, indem man sagte, dass Gespräche ja keine Verhandlungen bedeuteten, half wenig. Danach betonten die Moderaten, dass es keine Gespräche und schon gar keine Verhandlungen mit der SD geben werde. Für die Parteien auf der linken Seite, aber auch für die Zentrumspartei ist jegliche Art der Verbindung mit der SD vom Tisch.

Die traditionellen Muster der Parteienzusammenarbeit befinden sich im Umbruch

Andere skandinavische Länder haben Erfahrungen mit ähnlichen parlamentarischen Dilemmata, aber sie haben einen pragmatischeren Umgang mit ihnen gezeigt. Seit den Parlamentswahlen in Norwegen 2013 beispielsweise wird das Land von einer Koalition der Konservativen und der populistischen Fortschrittspartei regiert. In Dänemark ist die dänische Volkspartei, ebenfalls eine populistische rechte Partei, zwar noch nicht Teil einer Koalition, aber sie scheint nicht in dem Maße stigmatisiert zu werden, wie es bei den Schwedendemokraten der Fall ist.

Ein Grund dafür könnte sein, dass Dänemark und Norwegen eine lange Tradition im Umgang mit populistischen Parteien, die sich seit den 1970er-Jahre in erster Linie für aggressive Steuersenkungen einsetzen, haben. In Schweden gibt es in dieser Hinsicht weniger Erfahrungen.

Allgemeiner ausgedrückt, befinden sich die Modelle der Zusammenarbeit und des Wettkampfs der Parteien in Schweden im Umbruch.

Seit einem Jahrhundert ist die schwedische Politik überwiegend durch die Einteilung in einen rechten und einen linken Block geprägt. Aber im Verlauf der letzten Jahre sind die GAL-TAN-Blöcke ("grün, alternativ, libertär" versus "traditionell, autoritär, nationalistisch") zum entscheidenden Merkmal der politischen Debatte avanciert. Diese Entwicklung hat bedeutende Auswirkungen auf die traditionellen Allianzen der Parteien. 

In der Immigrationsfrage, um das prominenteste Beispiel zu nennen, stehen die Sozialdemokraten den Konservativen und sogar den Schwedendemokraten nahe, während die Grünen, die Linkspartei und die Zentrumspartei sich am entgegengesetzten Ende des Spektrums befinden. Angesichts der Tatsache, dass Migration zu den Schlüsselthemen in den kommenden Wahlen zählt und auch angesichts der Unsicherheit der parlamentarischen Lage nach den Wahlen, kursieren Überlegungen, neue Allianzen zu schmieden, um eine arbeitsfähige Regierung zu ermöglichen. 

Die anstehenden Wahlen stecken also in mehrfacher Hinsicht voller Unsicherheit. Die meisten Beobachter sind sich einig, dass Schweden dringend eine stabile Regierung mit einer soliden parlamentarischen Unterstützung benötigt, um die drängenden Probleme bei der Qualität der sozialstaatlichen Leistungen, der Bildung, der Einwanderung, bei Recht und Ordnung sowie der nationale Sicherheit anzugehen. 

Aber die wenigsten glauben, dass die Wahl zu einem Ergebnis führen wird, das diese Ziele sicherstellt. Situationen wie diese verlangen nach politischer Führungsstärke, Pragmatismus und Integrität. Jeder, der auch nur den geringsten akademischen Überlebensinstinkt besitzt, sollte sich mit kühnen Vorhersagen, wie das Ganze ausgeht, also lieber zurückhalten.

Jon Pierre ist Forschungsprofessor der Politikwissenschaft an der Universität Gothenburg und Professor für Public Governance an der Melbourne School of Government, Universität von Melbourne. Er ist Co-Autor des in Kürze erscheinenden Sustainable Governance Indicators' (SGI) Report über Schweden.

Aus dem Englischen übersetzt von Rosa Gosch