Dies hat Konsequenzen für die mögliche Ausgestaltung der nächsten Gesundheitsreform. "Wir wissen beispielsweise aus der Schweiz, dass durch praktisch alle dort wählbaren Selbstbeteiligungstarife die teilnehmenden Versicherten Kosten einsparen können", sagt Jan Böcken, Projektleiter der Bertelsmann Stiftung. In Deutschland kann heute nur ein kleiner Kreis von Versicherten diese Option wählen. Wenn eine neue Reform dies für alle GKV-Versicherten zulässt, würde sich vermutlich ein großer Teil aufgrund der aktuellen Zuzahlungsbelastung gegen jegliche Modelle der Selbstbeteiligung entscheiden. "Damit bliebe einem effektiven Instrument zur Steuerung der Leistungsinanspruchnahme die Breitenwirkung versagt", so Böcken.
Nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung sollte eine nachhaltige Gesundheitsreform sich bei der Ausweitung der finanziellen Anreize auf alle Versicherten konzentrieren. Dies gilt auch deshalb, weil der Gesundheitszustand der Versicherten laut Studie in der GKV schlechter ist als der in der PKV: 22 Prozent der gesetzlich Versicherten beschreiben ihren Gesundheitszustand als weniger gut oder schlecht, 23 Prozent geben an, chronisch krank zu sein (9 und 12 Prozent in der PKV). GKV-Versicherte haben also nicht nur weniger finanziellen Spielraum, sie haben auch aus gesundheitlichen Gründen oft nicht die Möglichkeit, weniger Leistungen in Anspruch zu nehmen.
Doch selbst die gegenwärtig diskutierten Reformvorschläge, die sich auf alle Versicherten aus GKV und PKV beziehen, würden allein zu kurz greifen. Aus Sicht der Bertelsmann Stiftung müssen verstärkt auch Steuerungsoptionen auf der Leistungsanbieterseite in die Überlegungen einbezogen werden. Erste Ergebnisse aus internationalen Versuchen wie den kalifornischen "Pay for Performance" (Geld folgt Leistung)-Programmen weisen den richtigen Weg. Bei dieser leistungsorientierten Vergütung erhalten Ärzte Bonuszahlungen für das Erreichen bestimmter Qualitätsziele, die Anwendung standardisierter Behandlungs- und Dokumentationsverfahren, für hohe Patientenzufriedenheit sowie die Durchführung von Präventionsmaßnahmen oder Investitionen in neue Informationstechnologien.
Dass es in der aktuellen Debatte nicht nur um das Geld geht, zeigen die derzeitigen Ärztestreiks in Deutschland. "Themen wie Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen und Freizeitausgleich gewinnen an Bedeutung. Zukünftig werden auch ethische Aspekte und die Frage des Selbstverständnis der Ärzte im Verhältnis zu anderen Gesundheitsprofessionen die Versorgung weit mehr verändern als das Drehen an der Finanzschraube", so Böcken. Ein wirklich visionärer Reformentwurf würde diese Themen schon heute einbeziehen.
Der Gesundheitsmonitor der Bertelsmann Stiftung befragt repräsentativ zweimal jährlich die Bevölkerung und einmal im Jahr Ärzte zu aktuellen Themen des deutschen Gesundheitswesens. Bislang wurden rund 12.000 Versicherte und 2.000 Ärzte befragt.
Über die Bertelsmann Stiftung:
Die Bertelsmann Stiftung versteht sich als Förderin des Wandels für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Sie will Reformen in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit sowie Internationale Verständigung voranbringen. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete, gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile der Bertelsmann AG. In ihrer Projektarbeit ist die Stiftung unabhängig vom Unternehmen und parteipolitisch neutral.
Rückfragen an: Jan Böcken, Telefon: 0 52 41 / 81-81 462
Der "Gesundheitsmonitor 2006" erscheint im Herbst im Verlag Bertelsmann Stiftung. Eine gesonderte Veröffentlichung zur Wirkung von Anreizen auf Seite der Versicherten und Ärzte kann ab Mai unter www.gesundheitsmonitor.de bezogen werden.
Weitere Informationen finden Sie in der Spalte rechts neben diesem Text.