Teilnehmendenfoto vom Salzburger Trilog 2024

Europas Rolle in einer ungewissen Zukunft

Zum Salzburger Trilog 2024 kamen wieder mehr als 30 internationale Führungspersönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur aus 16 Ländern zusammen. Sie diskutierten in diesem Jahr die Frage, welche Rolle Europa in einer ungewissen Zukunft haben sollte: Pionier, Nachzügler oder etwas dazwischen?

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Liz Mohn eröffnete den Trilog mit einem Rückblick auf einen Sommer der Veränderungen in der Welt. Dieser zeige, dass nicht nur Veränderungen - ob positiv oder negativ - sondern auch das Undenkbare plötzlich möglich seien. "Das kann uns Mut geben für die großen politischen, wirtschaftlichen, demografischen und ökologischen Herausforderungen, vor denen die Welt steht", betonte Liz Mohn. Der Salzburger Trilog eigne sich besonders für solche Diskussionen, weil wir diese Fragen aus vielen internationalen Blickwinkeln betrachten können.

Europa war oft Vorreiter und Impulsgeber für andere Regionen der Welt, insbesondere durch Innovationskraft, die Wissenschaft, die Bildung und Kultur und nicht zuletzt die Wirtschaftskraft. Nun stellt sich die Frage, ob und wie Europa diese Vorzüge bewahren kann. Bei den Diskussionen, die unter Chatham-House-Regeln stattfanden, standen folgende Punkt im Vordergrund:

Europa in der Welt

Krisensituationen sind für die Europäische Union nichts Unbekanntes. Seit Jahren befindet sie sich in diesem Modus: von der Eurokrise über die Probleme in der Migrationspolitik bis hin zur Covid-Pandemie. Für alle diese Herausforderungen wurden bisher Lösungen gefunden. In der aktuellen Lage ist eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben notwendig, was für viele politische Verantwortliche auf dem Friedenskontinent Europa beunruhigend ist. Zudem leidet Europa an einem Mangel an Führung, sodass Konfliktbeteiligte eher den Dialog mit Russland, der Türkei oder China suchen, aber nicht mit der EU.

Europa à la Carte – plakativ repräsentiert durch das Schengen-Abkommen oder den Euro – hat in der Vergangenheit gut funktioniert und sollte als Prinzip bei der Weiterentwicklung der EU deshalb stark berücksichtigt werden. Für die europäische Integration des Balkans und der Türkei brauchen wir kreative Lösungen. Eine Expansion der EU sollte aber unabdingbar mit einer Transformation der Institutionen einhergehen.

Es gibt kein Analyse-, sondern ein Umsetzungsproblem. Die Europäische Union muss nachhalten und umsetzen, was sie verspricht, sonst droht eine wachsende Unglaubwürdigkeit nach innen und außen. Dafür braucht es international wettbewerbsfähige Institutionen und Personal sowie ein transparentes System von Belohnungen und Sanktionen bei der Umsetzung strategischer Projekte. Nur dann kann die EU zu einem geopolitischen Akteur werden, statt zu einem Subjekt der Geopolitik.

Die tektonischen Platten der Weltordnung verschieben sich weiter und der Westen, insbesondere Europa, erlebt einen relativen Abstieg, da sich andere Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika dynamischer entwickeln. Der Westen kann die internationalen Regeln nicht mehr im Alleingang bestimmen. Stattdessen muss er sich aktiv an den notwendigen Veränderungsprozessen beteiligen, oder riskieren, von anderen Akteuren überholt zu werden.

Die aktuelle Weltlage ist von gravierenden Umbrüchen und Unsicherheiten geprägt. Es braucht eine aktualisierte Weltordnung, die diesen Entwicklungen gerecht wird. Die EU verfügt über enorme Soft-Power und zwischen China und der EU besteht eine lange, konfliktfreie Geschichte.

In der Vergangenheit zeichnete sich der westliche Imperialismus durch ein einseitiges Ordnungs- und Führungsprinzip aus. Der Westen muss lernen, einen ausbalancierteren Führungsstil für die Neuordnung der Welt zu entwickeln.

Zwar erfordert die Neuordnung der Welt eine Reform der internationalen Organisationen, aber nicht unbedingt der internationalen Rechtsordnung. Eine Neuinterpretation ist hier ausreichend. Besonders das Prinzip der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten bedarf einer Anpassung. Bestehende Organisationen spiegeln nicht die heutigen Realitäten wider – das gilt sowohl für die internationalen Machtverhältnisse als auch für die politisch systematische Unterrepräsentation der Jugend, national wie international.

Europa hat größere Schwierigkeiten als andere Weltregionen, mit den Ambivalenzen umzugehen, die aus den globalen Veränderungen resultieren. Aufstrebende Länder gehen größere Risiken ein und erzielen dadurch höhere Gewinne. Der Abstand zwischen Europa und den aufstrebenden sowie führenden Nationen und Regionen ist nicht unüberwindbar. Mit Anstrengung und Anpassung können wir wieder aufholen.

Frieden und Sicherheit

Europa muss sich von einem reinen Friedensprojekt zu einem Akteur entwickeln, der aktiv für Sicherheit sorgt. Dafür ist eine funktionierende Wirtschaft unverzichtbar und selbst bei wirtschaftlichem Wachstum wird es schwierige Entscheidungen darüber geben, wofür finanzielle Mittel eingesetzt werden sollen.

Die EU, ursprünglich ein Friedensprojekt, wurde durch den Angriff Russlands auf die Ukraine wachgerüttelt. Ohne wirtschaftlichen Erfolg wird Europa keine bedeutende internationale Rolle einnehmen können.

In den vergangenen Jahrzehnten hat Europa von Frieden, internationalen Wertschöpfungsketten und gemeinsamen Werten profitiert, aber diese Zeit ist nun vorbei. Europa muss sich deshalb verstärkt gegen geopolitische Risiken, Terrorismus und Angriffe auf seine kritische Infrastruktur wappnen und die Migration besser steuern. Ein gemeinsames Projekt zum Schutz kritischer digitaler Infrastrukturen wäre hierfür besonders geeignet.

Nach dem Krieg in der Ukraine wird Europa eine neue Sicherheitsarchitektur benötigen, an der bereits jetzt gearbeitet werden sollte. Dabei werden insbesondere effektivere Konsultationsmechanismen erforderlich sein, da Sicherheit umfassender verstanden werden sollte, nicht nur im militärischen Sinne.

Wirtschaftliche Entwicklung

Künstliche Intelligenz wird in den USA entwickelt, während Europa sich auf die Regularien fokussiert. Europa läuft dadurch Gefahr im digitalen Bereich weiter zurückzufallen. Um seine selbst ausgerufene digitale Dekade (2021-2030) erfolgreich zu gestalten, muss es vor allem die digitalen Kompetenzen aller Bevölkerungsschichten fördern.

Bildung ist Europas wichtigste Ressource und es gibt viele gute Ansätze, die innerhalb Europas umgesetzt werden könnten. Bisher scheitert dies jedoch oft an fehlenden Zuständigkeiten.

Derzeit zeigt sich in Europa ein gemischtes Bild: Wirtschaftliche Dynamik findet sich vor allem in kleinen Ländern und in Osteuropa. Das Duett zwischen Deutschland und Frankreich, welches die Entwicklung der EU in den letzten 50 Jahren maßgeblich geprägt hat, funktioniert heute so nicht mehr. Die EU benötigt eine neue Governance-Struktur, die den aktuellen Entwicklungen besser gerecht wird.

Es ist essenziell, dass Europa mehr europäische Talente im eigenen Kontinent hält. Zwar gibt es viele Start-Ups, doch fehlt es ihnen häufig an Wachstumsmöglichkeiten, weil Investitionskapital knapp ist. Auch deshalb braucht Europa die Kapitalmarkt-Union und ein einheitliches europäisches Verschuldungsinstrument.

Zukunftsthemen wie Quantencomputer und der Weltraum sind Bereiche, in denen die EU aktiv werden muss. Forschung und Entwicklung werden zunehmend von Künstlicher Intelligenz und militärischem Nutzen geprägt sein.

Ein großes Problem besteht derzeit darin, dass Wirtschaft und Regierungen nicht effektiv miteinander kommunizieren und aufeinander hören. Dadurch entstehen häufig Regulierungen, die ihren Zweck nicht erfüllen und unnötige Kosten verursachen. Es ist wichtig, dass Regulierer verstehen, auf welche Kostenstrukturen und Geschäftsmodelle ihre Vorgaben Einfluss nehmen.

Kultur als europäische Stärke

Die kulturelle Vielfalt Europas, von seinen Sprachen, über seine Küche bis hin zu seinen Kunstformen, ist eine große Stärke und ein wesentlicher Motor für Innovation. Diese Vielfalt trägt zudem dazu bei, junge Talente anzuziehen und langfristig zu binden. Europa gehört nach wie vor zu den lebenswertesten Regionen der Welt, vor allem wegen seiner reichen Kultur. Gleichzeitig ist es wichtig, eine gemeinsame europäische Identität und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu Europa zu fördern.

Kulturschaffende können maßgeblich dazu beitragen, eine positive europäische Geschichte zu erzählen und die emotionale Bindung der Menschen an Europa zu stärken. Die Unterstützung für Kunst und Kultur sollte daher als Investition in den Wandel betrachtet werden, da Kulturschaffende die Wahrnehmung in der Gesellschaft prägen und Veränderungen anstoßen können.

Gerade in der Vermittlung dieser Werte und Identitäten sind Führung und Ehrlichkeit gefragt. Die öffentliche Stimmung gegenüber Europa hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Daher muss Europa sich neu auf gemeinsame Grundwerte und Ziele für die Zukunft einigen.