Länderbericht Baden-Württemberg

Fazit

Die Situation und Herausforderungen für die Berufsbildungspolitik in Baden-Württemberg sind denen in Bayern nicht unähnlich. Sie werden von den Bedingungen einer prosperierenden, stark industriebasierten Wirtschaft und einem sich der Vollbeschäftigung nähernden Arbeitsmarkt geprägt. Man muss die Ausbildungsentwicklung dieser Länder vor allem mit Blick in die Zukunft betrachten, mit wie viel Unsicherheiten diese auch immer auf den Märkten behaftet sein mag. Und da stellt sich die Lage für Baden-Württemberg mittelfristig noch etwas stärker angespannt als für Bayern dar: Es hat, bezogen auf die im besonders ausbildungsrelevanten Alter befindliche Population (15 bis 24 Jahre), eine etwas ungünstigere Prognose für das nächste Jahrzehnt, und vor allem die sehr viel größere Aufgabe, jugendliche Ausländer in dieser Altersgruppe (32 %) in Ausbildung und Arbeitsmarkt zu integrieren. In letzterem Punkt liegt sicherlich für Baden-Württemberg auch eine Chance, demografisch bedingte Rückläufigkeiten im (künftigen) Arbeitskräftevolumen auszugleichen. 

Für die Sicherung des Fachkräftebedarfs im gewerblich-technischen Bereich, dem Kernsektor der baden-württembergischen Wirtschaft, durch die duale Berufsausbildung praktiziert Baden-Württemberg seit einigen Jahren ein Modell, das sowohl die Qualität als auch die Quantität dualer Ausbildung zu fördern in der Lage ist: Nach Vereinbarung mit Kammern und Betrieben wird das erste Ausbildungsjahr de facto als vollzeitschulisches in der Berufsfachschule/Berufskolleg unter Einschluss eines schulisch begleiteten Betriebspraktikums durchgeführt nach „den maßgeblichen Ausbildungsordnungen sowie Bildungs- und Lehrplänen in der Grundstufe“ (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2013), was über Ausbildungszeitverkürzungen als erstes Ausbildungsjahr angerechnet werden kann. Die Entlastung der Betriebe von der Vermittlung theoretischer und fachpraktischer Grundqualifikationen auf Berufsfeldbreite, zu der sie selbst unter Umständen nicht die Voraussetzungen mitbringen, ermöglicht mehr Betrieben die Ausbildungsbeteiligung. Ob damit die im Ländervergleich auffällig niedrige Einmündungsquote von Jugendlichen mit maximal Hauptschulabschluss wie sogar auch von Jugendlichen mit mittlerem Abschluss in eines der beiden vollqualifizierenden Ausbildungssysteme angehoben werden kann, bleibt vorerst abzuwarten. Zur Gewinnung von mehr Ausbildungsplätzen im gewerblich-technischen Bereich allerdings könnte das Modell Baden-Württembergs für das erste duale Ausbildungsjahr für andere Länder Vorbildcharakter haben. 

Für den zweiten Fachkräfteengpass, den bei den personenbezogenen Dienstleistungen, den man in beinahe allen Bundesländern beobachten kann, scheint Baden-Württemberg nicht gut gerüstet zu sein. Diesen Eindruck vermittelt die Tatsache, dass das Land bei den Neuzugängen zum Schulberufssystem, in dem bundesweit der Nachwuchs in den personenbezogenen Dienstleistungen mehrheitlich ausgebildet wird, mit 17 % an letzter Stelle aller Länder liegt und auch in den letzten Jahren keine nennenswerte Erhöhung der Quote in den personenbezogenen Dienstleistungsberufen vorweisen kann. In einem derartig stark von Industrie- und industrienahen Berufen mit ihren relativ attraktiven Beschäftigungsperspektiven geprägten Arbeitsmarkt haben es die personenbezogenen Dienstleistungen möglicherweise schwer. Um diesen Zustand zu ändern, ist nicht allein die Berufsbildungspolitik des Landes, sondern auch die Personal- und Beschäftigungspolitik der Dienstleistungsunternehmen gefordert. 

Ohne eine Verbesserung der beruflichen Integration jener jugendlichen Ausländer, die ein Drittel der Jugendlichen im besonders ausbildungsrelevanten Alter (15 bis 24 Jahre) ausmachen, scheint mittelfristig die Fachkräftesicherung in Baden-Württemberg kaum zu gewährleisten zu sein. Die gegenwärtige Situation der beruflichen Integration kann nicht befriedigen. Zwar ist es zwischen 2007 und 2015 gelungen, einen Anstieg ausländischer Neuzugänge sowohl zum dualen als auch zum Schulberufssystem zu erreichen. Aber die Abstände zwischen den relativen Anteilen zwischen deutschen und ausländischen Neuzugängen zu den vollqualifizierenden Ausbildungssystemen bleiben auch aktuell groß, machen im dualen System annährend 20 Prozentpunkte aus. Umgekehrt erweist sich die Relation im Übergangssektor. Dass die aktuellen Relationen bis zu einem bestimmten Ausmaß auch von der starken Flüchtlingszuwanderung der letzten Jahre mit bedingt sind, verschärft das Integrationsproblem für die Berufsbildungspolitik eher als es zu relativieren. 

 

Autoren: Prof. Dr. Martin Baethge, Dr. Maria Richter (Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen, SOFI); Prof. Dr. Susan Seeber, Dr. Meike Baas, Dr. Christian Michaelis, Robin Busse (Universität Göttingen).