Die Freie und Hansestadt Hamburg, das reichste Bundesland, hat eine im Ländervergleich ungewöhnliche Qualifizierungsstruktur, wenn man das institutionalisierte Bildungs- und Ausbildungssystem insgesamt betrachtet. In keinem anderen Bundesland verbindet sich ein so hoher Anteil an Studienberechtigten an einer Alterskohorte (55 %) mit zugleich dem höchsten Anteil an Neuzugängen zum dualen System (60 %). Gerade Letzteres erscheint insofern überraschend, als sich in der Vergangenheit, von der Nachfrage her gesehen, Hochschulzugangsberechtigte deutlich seltener für eine duale oder Schulberufsausbildung als für ein Studium entschieden haben. Hier allerdings profitiert Hamburg von den Ausbildungseinpendlern vor allem aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen: Über 50 % der Ausbildungsanfänger mit (Fach-)Hochschulreife sind Einpendler (vgl. Homfeld 2015).
Was auf den ersten Blick als atypisch erscheint, könnte sich in Zukunft als typische Qualifizierungsstruktur von Regionen erweisen, bei deren Schulabsolventenstruktur die Studienberechtigung dominiert und deren Arbeitsmarkt stark von qualifizierter Dienstleistungstätigkeit geprägt ist. Solche Regionen decken sich – außerhalb der Stadtstaaten – nicht mit Bundesländergrenzen, sondern eher mit großstädtischen Ballungszentren der Metropolregionen wie das Rhein-Main-Gebiet, die Räume Stuttgart und München oder Düsseldorf-Köln.
Aber weder die Arbeitsmärkte noch die Berufsbildungssysteme solcher Regionen sind problemfrei, wie das Beispiel Hamburg zeigt: Der Stadtstaat weist sowohl überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeits- und Jugendarbeitslosigkeitsquoten als auch eine problematische, wenn nicht sogar prekäre Ausbildungsstruktur auf; diese findet ihren Ausdruck in einer der ungünstigsten Angebots-Nachfrage-Relationen von allen Bundesländern mit 89 % und einem ebenfalls am unteren Ende liegenden Angebot im Schulberufssystem mit 20 %. Trotz des hohen Anteils von 60 % Neuzugängen zum dualen System besteht die kritische ANR, weil das Ausbildungsplatzangebot im letzten Jahrzehnt leicht rückläufig war und mit der Nachfrage nicht mithalten konnte. Der niedrige Anteil im Schulberufssystem, in dem schwerpunktmäßig für personenbezogene Dienstleistungstätigkeiten ausgebildet wird, lässt sich am ehesten auf die Relation zu den kaufmännischen und anderen unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen zurückführen, die im Durchschnitt von Einkommen und Arbeitsbedingungen her attraktivere Berufsperspektiven bieten. Die Hamburger Berufsschuladministration wird sich für diese Situation Lösungen überlegen müssen.
Wie weit die bisher in Hamburg beschrittenen Wege zur besseren Erschließung zusätzlichen Ausbildungspotenzials dazu beitragen können, muss vorerst offen bleiben, erscheint aber durchaus aussichtsreich. Dafür sprechen könnte die Reorganisation des Übergangssektors in den letzten Jahren. Die Verbindung von starkem Abbau der Berufsfachschulen ohne Ausbildungsabschluss und Konzentration sowie inhaltliche Neukonstruktion der Berufsvorbereitung ist dazu angetan, in doppelter Weise Potenzial für die Fachkräfteausbildung zu erschließen: Zum einen können die ehemaligen (vor allem weiblichen) Berufsfachschüler früher in die Ausbildung eintreten, und dies auch ohne Verlust an Allgemeinbildung, da der mittlere Schulabschluss immer häufiger in den Sekundar- oder Stadtteilschulen erreicht wird. Zum anderen schafft die integrierte duale Berufsvorbereitung, die seit Jahren in Hamburg praktiziert und in den letzten beiden Jahren als zweijähriges Modell auch auf jugendliche Schutz- und Asylsuchende angewandt wird, mehr Nachfrage nach Ausbildung. Ob und wie weit mit einer solchen Berufsvorbereitungspolitik für die skizzierten Ausbildungs- und Arbeitsmärkte von hochverdichteten Räumen ein Beispiel entstanden sein könnte, ist von den politisch Verantwortlichen in den Ländern zu klären.
Hamburg steht noch vor einem weiteren Problem: Die Vertragsauflösungsquote in der dualen Ausbildung ist in den letzten Jahren gestiegen und zu einer der höchsten der Länder geworden (vgl. Abs. 5.2). Sofern dies auf die stärkere Integration von Jugendlichen mit maximal Hauptschulabschluss – gleichsam als Erfolg der verbesserten Berufsvorbereitung – zurückzuführen ist, müsste für diese Jugendlichengruppe auch nach Unterstützungsmöglichkeiten innerhalb der betrieblichen Ausbildung gesucht werden.