Zwei Personen sitzend auf einer Mauer

Antimuslimische Vorbehalte: differenziertes Wissen beugt Diskriminierung vor

Eine neue Datenauswertung des Religionsmonitors 2023 der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass Vorurteile gegenüber Muslim:innen und dem Islam weit verbreitet sind – und zu diskriminierendem Verhalten führen können. Die Ergebnisse machen aber auch deutlich: Differenziertes Wissen beugt Diskriminierung vor.  

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Dr. Yasemin El-Menouar
Senior Expert – Religion, Werte und Gesellschaft
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Ulrich Kober
Director

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Der Religionsmonitor 2023 offenbart tief verwurzelte antimuslimische Vorurteile in Deutschland. So glauben fast drei Viertel (74 Prozent) der nichtmuslimischen Befragten, Muslim:innen würden lieber unter sich bleiben. 70 Prozent denken, dass sie gern in eigenen Stadtteilen leben. Zugleich hat eine deutliche Mehrheit (58 Prozent) ein Problem damit, in einen Stadtteil zu ziehen, in dem viele Muslim:innen leben. Auf noch mehr Zustimmung treffen Vorurteile gegenüber dem Islam als Religion. Verbreitet ist etwa die Vorstellung, der Islam gebe islamistischen Terroristen starken Rückhalt (75 Prozent) und rufe zu Gewalt auf (57 Prozent). „Diese Gleichsetzung der Weltreligion Islam mit der religiös verbrämten Ideologie von Islamist:innen ist fatal“, so Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung. „Sie erklärt den Generalverdacht, dem viele Muslim:innen nach jeder furchtbaren islamistischen Terrortat ausgesetzt sind.“ Die Religionsexpertin plädiert dafür, die Bekämpfung des Islamismus präziser im Bereich der Extremismusprävention zu verorten und diese nicht wie ein allgemeines islampolitisches Thema zu behandeln. Zugleich seien muslimische Verbände und Gemeinden gefordert, sich aktiv von islamistischen Strömungen abzugrenzen und genauer zu prüfen, wer in ihren Häusern predigt.

 

Die Gleichsetzung der Weltreligion Islam mit der religiös verbrämten Ideologie von Islamist:innen erklärt den Generalverdacht, dem viele Muslim:innen ausgesetzt sind.

Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung

Vorurteile sind das Einfallstor für diskriminierendes Verhalten

Bestehende Vorbehalte schlagen sich auch im Wahlverhalten nieder. So würden 51 Prozent einen Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin allein deswegen nicht wählen, weil er oder sie eine muslimische Religionszugehörigkeit hat. Zudem äußert mehr als jede:r Vierte:r die Bereitschaft, eine Partei zu wählen, die sich explizit gegen Muslim:innen richtet. Weniger Bedenken haben die Befragten bei muslimischen Lehrkräften: Immerhin 60 Prozent würden ihr Kind an einer Schule anmelden, in der auch eine kopftuchtragende Muslimin unterrichtet. Auf der anderen Seite würden sich aber auch 40 Prozent gegen eine solche Schule entscheiden. Die Ergebnisse weisen zudem auf einen engen Zusammenhang zwischen negativen Stereotypen und diskriminierendem Verhalten hin: Wer Vorurteile gegenüber Muslim:innen hat, ist auch eher bereit sie auszugrenzen. Besonders die Annahme, Muslim:innen seien anfällig für Extremismus, führt häufig zu diskriminierenden Handlungsabsichten.

Reflexion und Differenzierung als Puffer gegen Diskriminierung

Der Religionsmonitor legt aber auch differenzierte Haltungen offen: 83 Prozent der Befragten wissen, dass es sowohl streng religiöse als auch weniger streng religiöse Muslim:innen gibt. 85 Prozent ist bewusst, dass Handlungen einzelner Muslim:innen häufig der ganzen Gruppe zugeschrieben werden. 60 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Muslim:innen häufig benachteiligt oder angefeindet werden; 69 Prozent glauben, dass Muslim:innen Rassismus erfahren. Dieses Wissen baut Vorurteile zwar (noch) nicht automatisch ab. Aber es lässt sich zeigen, dass Befragte, die diese Differenziertheit mitbringen, Muslime weniger benachteiligen und diskriminieren. „Dieser wichtige Befund unterstreicht, wie relevant und wirksam Bemühungen sind, die eine differenzierte Sichtweise auf muslimisches Leben in Deutschland vermitteln“, erklärt Yasemin El-Menouar.

Interreligiöse Bildungsprojekte könnten dazu ebenso beitragen wie die Medien, indem sie häufiger Gelingendes im Zusammenleben aufgreifen. „Wir brauchen mehr Erzählungen über die Normalität muslimischen Lebens, die den kursierenden Negativbildern etwas entgegensetzen“, ist El-Menouar überzeugt. „Wer versteht, warum für eine religiöse Gruppe bestimmte Alltagsregeln oder religiöse Feiertage wichtig sind, kann eher Verständnis und Toleranz entwickeln.“ Das sei wesentlich für ein gutes Miteinander in einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft. 

Wir brauchen mehr Erzählungen über die Normalität muslimischen Lebens, die den kursierenden Negativbildern etwas entgegensetzen.

Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung

Publikation

Zusatzinformationen

Die Publikation „Zwischen Pauschalisierung und Differenzierung. Einstellungen gegenüber Muslim:innen und dem Islam in Deutschland“ ist Teil des Religionsmonitors 2023. Dafür hat das infas – Institut für angewandte Sozialwissenschaft in Bonn im Juni und Juli 2022 die Daten im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erhoben und insgesamt 10.657 Menschen in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Polen sowie den USA befragt. In Deutschland haben sich 4.363 Personen an der Befragung beteiligt.

Mit dem Religionsmonitor untersucht die Bertelsmann Stiftung seit 2008 ländervergleichend die Rolle von Religion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der Religionsmonitor 2023 beschäftigt sich mit den Fragen der Religiosität in Zeiten multipler Krisen und der Frage von Vielfalt, Solidarität und Toleranz gegenüber Andersgläubigen. Die Erkenntnisse der Studien liefern Hinweise für ein gelingendes Zusammenleben. Dafür sollte Religion mitgedacht und eine moderne Religionspolitik gestaltet werden.