Gruppenfoto der Teilnehmer:innen des Salzburger Trilogs 2022

Liz Mohn: "Wir sollten den jungen Menschen zuhören und sie mit ihren Sorgen und Wünschen ernst nehmen."

Beim Salzburger Trilog 2022 des Liz Mohn Centers der Bertelsmann Stiftung diskutierten die 32 Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Kultur  die Frage, wie Respekt, Verlässlichkeit und gegenseitiges Verständnis in der zerrissenen Welt aufgebaut oder (wieder) hergestellt werden können.

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Jörg Habich

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Wir leben in einer zerrissenen Welt. Sie wird erschüttert durch eine Reihe von Krisen: Kriegen, Klimawandel, COVID-19. Dies hat weitreichende Folgen. Lieferketten brechen zusammen. Wirtschaftliche Turbulenzen erschüttern Unternehmen und Verbraucher:innen. Internationale Beziehungen werden auf harte Proben gestellt, die liberalen Demokratien geraten weiter unter Druck. Wie können Respekt, Verlässlichkeit und gegenseitiges Verständnis in solch heraufordernden Zeiten gestärkt werden, um einen faktenbasierten und themenbezogenen Austausch wieder aufzunehmen? Darüber haben 32 Teilnehmer:innen beim diesjährigen Salzburger Trilog diskutiert. Das Thema lautete: "How to Heal a Torn World? - Respect, Trust, Reliability and Mutual Understanding".

Liz Mohn, Präsidentin des nach ihr benannten Liz Mohn Centers der Bertelsmann Stiftung, wies in ihrer Eröffnungsrede darauf hin, dass vor fünf Jahren der österreichische Altkanzler Wolfgang Schüssel bei der Konferenz den Begriff des "Ring of Fire" rund um Europa angesichts der Konflikte in Nordafrika, im Nahen Osten und in Osteuropa prägte. "Heute scheinen wir mehr denn je von einem 'Ring of Friends' weit entfernt. Denn wir leben in einer zerrissenen Welt. (…) Wir alle müssen uns der Frage widmen, wie wir mehr Einigkeit und Gemeinsamkeit in einer immer komplexeren Welt schaffen und sichern können. Das geht nicht ohne Regeln, die eingehalten werden und um die wir - sachbezogen und diplomatisch - immer wieder ringen müssen." Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten sich weltweit weiter verändern, erklärte Liz Mohn weiter. "Dementsprechend muss sich auch die Demokratie weiterentwickeln. Sie muss fortgeschrieben werden. Wir müssen im sachbezogenen Dialog neue Partnerschaften gründen, in denen Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft mehr zusammenarbeiten."

Moderiert wurden die beiden Diskussionsrunden von Wolfgang Schüssel. "Natürlich stehen wir vor einer Vielzahl von Krisen, die ein gemeinsames und kluges Handeln der Weltgemeinschaft erfordern. Die Weltordnung, wie wir sie kennen, ist jedoch zunehmend gefährdet. Folglich ist auch unser politisches System mit seinen Regeln und Praktiken unter Druck geraten, was die Beziehungen destabilisiert und die Vorhersehbarkeit einschränkt. Wenn wir Frieden sowie freien Personen- und Warenverkehr erreichen und bewahren wollen, müssen wir das derzeitige Regelwerk, das unsere internationale Zusammenarbeit und unser Zusammenleben bestimmt, überdenken."

Wie der Krieg in der Ukraine enden könnte

Im Zuge eines lebhaften Gedanken- und Ideenaustauschs zeigten die Teilnehmer:innen mögliche Wege und Mittel zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen auf. Es wird wesentlich darauf ankommen, auch zukünftig Brücken der Verständigung zu bauen und zu akzeptieren, dass auch die Perspektive des Gegenübers eine Berechtigung haben könnte. Kultur, Kunst und Wissenschaft dienen hierbei als wichtige Kanäle zur Unterstützung dieser Bemühungen. Zudem sei es nötig, trotz aller Probleme mit Selbstvertrauen und Optimismus ans Werk zu gehen. Denn die Vorteile spielten offene Gesellschaften langfristig aus. Zudem sei die Welt stetig im Wandel und es gehe weniger um eine Heilung als um eine Neu-Balancierung.

Der russische Krieg gegen die Ukraine sei zwar das akute Problem, der Aufstieg Chinas als globaler Wettbewerber aber langfristig bedeutender. Russland sei wirtschaftlich, technologisch und demographisch nicht mit China zu vergleichen. Auch Indien habe gerade aufgrund der demographischen Entwicklung viel Potential für eine dynamische Entwicklung. China und Russland wollten einen Keil in den Westen treiben. Daher müsse aktiv für die Einheit der demokratischen Staaten gearbeitet werden. Hinter dem russischen Krieg gegen die Ukraine stehe aber insgesamt der Versuch, den demokratischen Westen zu untergraben. Wir sollten aufpassen, uns nicht in ein Gegeneinander von Autokratien gegen Demokratien hineinziehen zu lassen. Beides seien dynamische, veränderungsfähige Systeme.

Auch die Frage, wie der Krieg enden könne, wurde diskutiert. Die Situation habe gewisse Ähnlichkeiten zu 1914: Russland sei offenkundig davon ausgegangen, den Krieg schnell zu gewinnen, aber nun ziehe er sich hin, ohne das aktuell ein Ende in Sicht sei. Die entscheidende Frage sei, wie man einen Verhandlungsprozess initiieren und gestalten könne, der zu einem Waffenstillstand und schließlich zu einem Friedensvertrag führen könne. Hier könne der Helsinki-Prozess der 1970er-Jahre eine Vorlage bieten.

Neue Prinzipien für eine internationale Ordnung entwickeln

Angesichts der Gleichzeitigkeit von Krisen waren sich die Expert:innen einig, dass den Fragen von guter Governance und Leadership – ob in der Politik, der Wirtschaft oder der Zivilgesellschaft und Kultur – mehr denn je eine größere Bedeutung zukommt. Den Kompetenzen der Entscheidungsträger zur Bewältigung zukünftiger Krisensituationen gälte es ein Augenmerk zu widmen. Politische Leadership sei ebenso nötig, da Regierungen von Experten beziehungsweise Technokraten zwar Probleme lösen könnten, ihnen aber häufig auf Dauer die politische Legitimität fehle.

Die internationale Ordnung sei zunehmend unter Druck. Regeln würden missachtet, ohne dass die Regelbrecher sanktioniert würden. Dies deute darauf hin, dass das System von vielen heute nicht mehr als legitim angesehen werde. Angesichts von hoch-integrierten Erdsystemen, die zunehmend unter Stress stünden, bedürfe es aber zunehmend globaler Lösungen für diese Probleme.

Daraus ergebe sich die Frage, wie eine neue internationale Ordnung aussehen könne. In einem ersten Schritt müssten neue Prinzipien entwickelt werden, die von allen relevanten Akteuren geteilt würden. Dafür sei auch ein Zugehen auf die Länder nötig, die westliche Werte nicht teilen. Dies müsse mit größtem gegenseitigem Respekt und Verständnis sowie sprachlichem Feingefühl geschehen. Sprache schaffe Realitäten. Die Interpretation von Wörtern und Prinzipien sei entscheidend.

Die Teilnehmer:innen konstatierten, dass die junge Generation zunehmend das Vertrauen, vor allem in die Politik, weniger in die Wirtschaft, verliere. Dies sei auch beispielsweise in den USA nicht völlig verwunderlich, da die Mehrheit der Haushalte heute weniger Einkommen habe als eine Generation zuvor. Entscheidend für die Entwicklung der Jugend sei eine Mischung aus Bildung, Entrepreneurship und Technologie. Man müsse junge Leute bei der Entwicklung von Lösungen einbinden. Tech-Unternehmen verstünden dies besser, da sich die Jugendlichen auf den entsprechenden Internetseiten aufhielten.

Kinder und Jugendliche blicken sorgenvoll in die Zukunft Deutschlands

Thema der Diskussion beim Salzburger Trilogs war auch die vom Liz Mohn Center durchgeführte repräsentative Umfrage zur Lage der Kinder und Jugendlichen in Deutschland. Die zentralen Ergebnisse: Die Mehrheit der Jugendlichen (60%) befürchtet Wohlstandsverluste, ausgelöst durch steigende Energiepreise und Inflation. Mehr als die Hälfte der befragten Jugendlichen berichtet außerdem von durch die Ukraine-Krise ausgelösten Angst- (58%) und Trauergefühlen (51%).

Der globale Klimawandel ist vor allem für die Älteren sowie ganz jungen Kinder und Jugendlichen ein Thema: Knapp 48 Prozent der 16- bis 18-Jährigen und 46 Prozent der 12- bis 13-Jährigen geben an, dass sie sich hier sehr große Sorgen machen. Die Corona-Pandemie hingegen bereitet den wenigsten Jugendlichen große Sorgen. Liz Mohn sagte dazu: "Wir sollten den jungen Menschen zuhören und sie mit ihren Sorgen und Wünschen ernst nehmen."

Trotz der Ängste und Sorgen der Jugendlichen: Nur 5 Prozent von ihnen geben an, überhaupt nicht mit ihren derzeitigen Lebensumständen zufrieden zu sein. Drei von fünf Jugendlichen blicken mit Zuversicht in die eigene berufliche Zukunft und wissen, welche Fähigkeiten und Talente im Berufsleben wichtig sind. Auch Mut zum Gründen eines eigenen Unternehmens ist bei den jungen Menschen vorhanden (41% Zustimmung).

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