Zwei Schüler der Grundschule Wolperath-Schönau malen etwas mit Wachsmalstiften.
© Ulfert Engelkes

Jakob Muth-Preisträger 2014: Gemeinschaftsgrundschule in Wolperath-Schönau

„Gemeinsam in Vielfalt“: Das ist an der Gemeinschaftsgrundschule Wolperath-Schönau nicht nur Motto, es wird auch praktiziert. Von den zurzeit 194 Schülerinnen und Schülern, die hier unterrichtetwerden, haben 24 einen ausgewiesenen sonderpädagogischen Förderbedarf. Seit ihrer Gründung arbeitet die Schule mit dem Ansatz der schulweiten Inklusion. Schulentwicklung wird immer unter diesem Blickwinkel gesehen. Das zeigt sich besonders an der „Frage des Monats“: Aus dem „Index für Inklusion“ wird jeden Monat eine Frage ausgewählt, die für alle sichtbar im Schulgebäude ausgehängt wird. Kommentare und Reflexionen zu dieser Frage werden in einem Briefkasten gesammelt.Anschließend werden sie durch die Steuergruppe „Inklusive Schulentwicklung“, in der auch die Schüler vertreten sind, ausgewertet, der gesamten Schule vorgestellt und als Anregung für mögliche Veränderungen genutzt.

Verbundenheit und Verbindlichkeit - das zeichnet die Schule im Alltag aus. Die Lehrkräfte der Gemeinschaftsgrundschule Wolperath-Schönau verpflichten sich freiwillig zu einer Präsenzzeit von 7:30 bis 16:00 Uhr. Zwei- bis dreimal wöchentlich trifft sich das ganze Kollegium vor Unterrichtsbeginn zu kurzen Besprechungen. Der Fachunterricht findet in den verschiedenen Klassen einer Schulstufeparallel statt, sodass die Lehrkräfte den Unterricht gemeinsam vorbereiten und durchführen und z.B. klassenübergreifende Kleingruppen bilden können. Das gilt sowohl für die Erst- und Zweitklässler, die gemeinsam in der flexiblen Eingangsstufe lernen, als auch für die dritten und vierten Klassen, die jahrgangshomogen sind. Für Absprachen, Vor- und Nachbereitungen und auch Krisensitzungen bietet die verbindliche Anwesenheit aller genügend Raum und Zeit – den größten Teil ihrer Arbeit erledigendie Lehrkräfte so in der Schule.

Verbindlichkeit drückt sich auch darin aus, dass in der ganzen Schule die gleichen Regeln, Zeichen, Routinen und Rituale gelten und die gleichen Materialien und Konzepte verwendet werden. Sie alle geben der Schule einen festen Rahmen, innerhalb dessen dann eine große Freiheit herrscht. Für die Kinder bedeutet das Orientierung und Vertrautheit – für die Erwachsenen eine Entlastung, weil sie sich auf das Kerngeschäft – den Unterricht – konzentrieren können.

Dabei gehören alle an der Schule Tätigen auch selbstverständlich zum „Schulteam“. Die Schulleitung besteht aus einer Regelschullehrerin und einer Sonderpädagogin. Alle fühlen sich grundsätzlich für alle Schülerinnen und Schüler zuständig. Es besteht eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften und allen Mitarbeiterinnen im Vor- und Nachmittagsbereich. Zwei Mitarbeiterinnen des offenen Ganztags arbeiten vormittags im Unterricht mit, Lehrkräfte bieten nachmittags Arbeitsgemeinschaften an. Konferenzen werden gemeinsam durchgeführt und Feste gemeinsam gefeiert.

Im Unterricht steht immer das individuelle Können im Vordergrund. Das bedeutet, dort anzusetzen, wo die Kinder stehen, damit sie ihre Potenziale gezielt entwickeln können. So gibt es z.B. ein eigens entwickeltes Mathematik-Konzept, das in spiralförmigen, fünfstufigen Kompetenzrastern (KORA) organisiert ist. Es stellt sicher, dass alle Kinder schon in der flexiblen Eingangsphase alle vierGrundrechenarten kennenlernen. Kinder mit wenig Übungsbedarf können sich dabei schneller auf der Spirale nach oben bewegen. Schwächere haben genügend Zeit für Wiederholung und Übung und können durch den spiralförmigen Aufbau gleichzeitig ihre Kompetenzen stetig erweitern. Das KORAKonzept wird unterstützt durch Mengenbilder, die alle Kinder gleichermaßen nutzen. So wird zum einen vermieden, dass sich Kinder Fehlstrategien aneignen, zum anderen können starke Rechner das Material nutzen, um anderen Kindern eigene Rechenwege zu erklären. Am Ende jeder KORA-Stufe steht eine Überprüfung. Den Zeitpunkt dafür bestimmen die Kinder selbst.

Die Lern- und Leistungsentwicklung der Schüler wird von den beteiligten Lehrkräften in „Portfolios“ festgehalten und festgestellt. In „Lernportfolios“ schätzen die Kinder ihre Lernerfolge selbst mit Hilfe ihrer Eltern ein. Diese werden von den Lehrkräften anschließend mit den Eltern und in angemessener Form auch mit den Kindern besprochen. Jedes Kind führt außerdem eigenständig ein „Lerntagebuch“, in dem es wichtige Lernerfahrungen und  die geleistete Arbeit festhält. Auch in der Bewertung liegt der Fokus auf dem individuellen Können: Notenzeugnisse werden erst ab Klasse 4 vergeben.

Die Ergebnisse der Lernstanderhebungen zeigen, dass sich dieses Vorgehen positiv auswirkt: Die erreichten Leistungen liegen insgesamt im oberen Mittelfeld und sind besonders im Lesen überdurchschnittlich.

Individualisierung prägt das Unterrichtsbild stark: Während vier Kinder ein Würfelspiel spielen, rechnet ein anderes in seinem Stehständer mit Hilfe der Mengenbilder und mit Unterstützung einer pädagogischen Mitarbeiterin konzentriert seine Aufgaben. Einige Kinder arbeiten an unterschiedlichenArbeitsblättern und wer mit seinen Aufgaben fertig ist, holt sein aktuelles Buch unter dem Tisch hervor und liest.

Gleichzeitig spielt das gemeinsame Lernen und Erarbeiten eine große Rolle. So ist in einer 4. Klasse gerade „Inklusion“ das Thema: Es geht um Gemeinsamkeiten und individuelle Besonderheiten der Schüler und Schülerinnen und auch der beiden Lehrerinnen, die diese Stunde gemeinsam gestalten. Am Ende der Stunde hat jedes Kind einen „Expertenpass“, auf dem es vermerkt hat, was es besonders gut kann. Dort findet sich eine breite Auswahl an Expertisen:  „Dart spielen“, „Durchhalten“, „Rechnen“, „Pilze sammeln“ oder „mit Menschen umgehen, die eine Operation hatten“. Die anderen Kinder wissen nun also, wen sie künftig bei bestimmten Fragestellungen zu Rate ziehen können. Und sie wissen auch, mit wem sie Interessen teilen. So wird hier ein Verständnis von Inklusion erarbeitet, das sich nicht auf das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung beschränkt, sondern das Augenmerk darauf legt, dass alle Menschen einzigartig sind - und viele Gemeinsamkeiten haben.

Gemeinsamkeit spielt auch jeden Freitag eine Rolle. Alle Schüler ordnen sich jahrgangsübergreifend einer Werkstatt zu, in der sie an drei Freitagen hintereinander gemeinsam ein Thema bearbeiten. Im Anschluss präsentieren die Kinder sich und Teile ihrer Arbeit in den Werkstätten vor der gesamten Schule. Mit einer Ehrung der Geburtstagskinder und einem gemeinsamen Schullied wird die Woche abgeschlossen. Ein weiterer Ausdruck dafür, wie gut es an dieser Schule gelingt, das Individuelle, Eigene jedes Menschen mit Gemeinsamkeiten und Gemeinschaft zusammenzubringen.

Die Schulportraits sind jeweils zum Zeitpunkt der Verleihung des Jakob Muth-Preises entstanden und bilden die Schule zu dem entsprechenden Zeitpunkt in ihrer pädagogischen und didaktischen Arbeit ab. Inzwischen können sich Änderungen ergeben haben. Wir bemühen uns, die Webadressen aktuell zu halten.

Kontakt:

Gemeinschaftsgrundschule Wolperath-Schönau 
Schöneshofer Straße 6
53819 Neunkirchen-Seelscheid
info@grundschule-wolperath.de
www.grundschule-wolperath.de

Schulleitung zum Zeitpunkt der Bewerbung: Elisabeth Schmies