ndividuelle Förderung in den zwei Projektklassen der Pestalozzi-Schule Husum.
© Ulfert Engelkes

Jakob Muth-Preisträger 2016: Pestalozzi-Schule Husum - Förderzentrum Lernen, Sprache, Emotionale und Soziale Entwicklung

Die Pestalozzi-Schule Husum ist eine Schule ohne Schüler. Seit dem Schuljahr 2008/09 unterrichten die 35 Sonderschullehrkräfte alle 294 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf inklusiv an den allgemeinbildenden Schulen des Verbundes. Hinzu kommen zahlreiche präventive Maßnahmen in Kindergärten, Grundschulen und allen weiterführenden Schulen. Das Förderzentrum umfasst dabei die Schwerpunkte „Lernen“, „Sprache“ und „soziale und emotionale Entwicklung“.

Das Herzstück des Verbundes ist die Pestalozzi-Schule Husum selbst, dem alle 17 Schulen sämtlicher Schulformen im mittleren Nordfriesland angehören. Der Radius des Einzugsgebietes umfasst auch die Insel Pellworm und die Hallig Langeness. Das Förderzentrum sendet seine Lehrkräfte an die Regelschulen aus, um eine inklusive und wohnortnahe Beschulung der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit im Verbund ist über Kooperationsvereinbarungen der Schulen mit dem Förderzentrum geregelt. Diese enthalten auch Regelungen für die Zusammenarbeit der Kollegien in den Regelschulen mit den Lehrkräften des Förderzentrums.

Nach ihrem Selbstverständnis fühlen sich die Lehrkräfte des Förderzentrums für alle 4800 Schüler im Einzugsgebiet verantwortlich. Sie entscheiden an der jeweiligen Schule vor Ort selbst, welche Schüler zu welchem Zeitpunkt eine besondere Unterstützung benötigen. Dies müssen nicht zwingend nur Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sein. Im Rahmen der präventiven Unterstützung arbeiten die Lehrkräfte des Förderzentrums seit dem Schuljahr 2011/12 mit einem eigens entwickelten „präventiven Förderplan“. Dieser wird bei Bedarf für einzelne Schüler zu Beginn der Grundschule nach Rücksprache mit den Grundschullehrkräften und Eltern angelegt, um so durch frühzeitige und gezielte Förderplanarbeit einen sonderpädagogischen Förderbedarf zu vermeiden. Der sonderpädagogische Förderbedarf im Förderschwerpunkt „Lernen“ wird für Schüler nur noch nach einer lernprozessbegleitenden Diagnostik über mindestens ein Schuljahr festgelegt. So schafft es das Förderzentrum, die sonderpädagogischen Feststellungsgutachten besonders im Förderschwerpunkt „Lernen“ zu minimieren.

Die präventive Arbeit der Sonderschullehrkräfte der Pestalozzi-Schule beginnt bereits mit einer Sprachförderung in den knapp 30 umliegenden Kindergärten. Hier unterstützen Lehrkräfte, ausgebildet in der Fachrichtung Sprachheilpädagogik, Kinder in ihrer Sprachentwicklung Zudem sind insgesamt sieben Lehrkräfte des Förderzentrums im Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ zertifiziert, so dass schon früh im Kindergarten eine entsprechende Förderung ansetzen kann. An einem Grundschulstandort im Einzugsgebiet ist eine Sprachheilintensivmaßnahme eingerichtet worden. Hier werden Schüler mit erheblichen Sprachentwicklungsverzögerungen in einer Grundschulklasse gemeinsam unterrichtet.

Jeder der 35 Sonderschullehrkräfte wird  in der Regel nur an einer Schule eingesetzt. Dadurch sind die Lehrkräfte des Förderzentrums an ihren jeweiligen Schulen fest in die Teams vor Ort integriert und nehmen an für die Sonderpädagogik relevanten Konferenzen  teil. Durch die Einführung von sogenannten „Erziehungshilfetandems“ (Regelschullehrkraft und Förderschullehrkraft) wurde an jeder Schule erreicht, dass die Lehrkräfte des Förderzentrums ihre sonderpädagogische Expertise, auch im Sinne eines Kompetenztransfers an den Regelschulen des Verbunds einbringen können. Dieses zeigt sich grundsätzlich auch in der Zusammenarbeit im Unterricht: Alle Lehrkräfte fühlen sich für alle Schüler verantwortlich und planen den Unterricht gemeinsam.

Am Standort der Pestalozzi-Schule selbst trifft man nur noch wenige Schüler in so genannten temporären Maßnahmen an. Lehrer sind hier aber nach wie vor zu finden. Die Schule stellt einen wichtigen Ort für die Rückbindung der sonderpädagogischen Lehrkräfte dar. Regelmäßig finden Treffen der Konferenzen und Arbeitskreise zu verschiedenen Arbeitsschwerpunkten statt. An diesen Tagen besprechen die Sonderschullehrkräfte in ihren Teams auch Fallbeispiele, klären inhaltliche Fragen, fördern die eigene Expertise und entscheiden über die Zuständigkeit für einzelne Kinder oder Jugendliche.

Auf der Grundlage der gemeinsamen Haltung, „kein Kind verloren zu geben“, hat die Pestalozzi-Schule beeindruckende Projekte entwickelt. Beispielsweise arbeitet in der „FiSch-Klasse“ (Familien in Schule) ein Lehrerteam bestehend aus Grundschullehrkraft und Sonderschullehrkraft über einen Zeitraum von drei Monaten einmal wöchentlich gemeinsam mit Schülern und deren Eltern zusammen. Ziel ist die Vermeidung von Lernschwierigkeiten unter Einbeziehung der Eltern. Schülern und Eltern wird in dieser Klasse gezeigt, wie motivierend Erfolgserlebnisse sein können. In zwei Projektklassen der „schulischen Erziehungshilfe“ werden Schüler mit dem Förderschwerpunkt „emotionale und soziale Entwicklung“ unterrichtet, die längere Phasen schulabsent waren. Durch individuelle Lern- und Wochenpläne, die auch außerschulische Lernorte umfassen, wird den Schülern ein niveau- und zielgerichtetes Angebot gemacht, behutsam in den Schulalltag zurückzukehren. Die Projektklassen sind noch im Gebäude der Pestalozzi-Schule Husum angesiedelt. Die ruhige Atmosphäre gibt den Schülern Sicherheit, und sie lernen sich langsam wieder im Schulalltag zu Recht zu finden. Langfristiges Ziel aller Projekte ist die Reintegration in eine  wohnortnahe Beschulung. Alle Projekte sind temporär ausgerichtet und bis auf die zwei Projektklassen der „schulischen Erziehungshilfe“ am Standort einer allgemeinbildenden Schule angesiedelt.

Die Pestalozzi-Schule Husum zeigt, dass Inklusion gelingen kann, wenn bei  allen Beteiligten die Bereitschaft zur Veränderung der gewohnten Strukturen besteht. Durch ein breites Netzwerk mit der Sozialraumorientierten Jugendhilfe, den Grundschulen und den freien Trägern ist es dem Förderzentrum mit dem Poolprojekt „KIDS“ (Kinder in Schule) beispielhaft gelungen, den Übergang Kita – Grundschule für Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf durch fachlich ausgebildete Pool-Assistenzen besser zu gestalten. Es gibt dabei einen festgelegten Ablauf für die Übergabe, bei der die Lehrkräfte des Förderzentrums als Bindeglied fungieren. So wird kein Kind aus dem Blick verloren. 

Auch beim Übergang in die Arbeitswelt unterstützt die Pestalozzi-Schule Husum ihre Schüler. Bereits ab der 8. Klasse lernen die Schüler in Praktika und Praxistagen Betriebe kennen. In Kooperation mit dem Berufsbildungswerk und der Beruflichen Schule haben die Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf so die Möglichkeit, an den Gemeinschaftsschulen den höchstmöglichen Bildungsabschluss zu erwerben. Besonders der Einsatz eines Berufscoaches und die Einrichtung von sogenannten „Flex-Klassen“ führen dazu, dass bei immer mehr Schülern der sonderpädagogische Förderbedarf aberkannt und  mindestens der Hauptschulabschluss erreicht wird.

Ein weiteres wichtiges Standbein des Förderzentrums stellt die Hochbegabtenförderung dar. Seit 2015 ist die Pestalozzi-Schule zertifiziert und bietet allen Schulen im gesamten Kreis Nordfriesland sowie den entsprechenden Eltern eine nachhaltige und umfassende Beratung an.

Insgesamt zeigt die Pestalozzi-Schule Husum eindrücklich, wie weitgehende Inklusion gelingen und gleichzeitig die  unerlässliche sonderpädagogische Expertise erhalten bleiben kann.

Die Schulportraits sind jeweils zum Zeitpunkt der Verleihung des Jakob Muth-Preises entstanden und bilden die Schule zu dem entsprechenden Zeitpunkt in ihrer pädagogischen und didaktischen Arbeit ab. Inzwischen können sich Änderungen ergeben haben. Wir bemühen uns, die Webadressen aktuell zu halten.

Kontakt:

Pestalozzi-Schule Husum
Schobüller Straße 38
25813 Husum
pestalozzischule-husum(at)schule.landsh.de
www.foerderzentrum-husum.de

Schulleitung zum Zeitpunkt der Bewerbung: Niels Bünning