„Arbeit muss sich lohnen“ – der Ausdruck ist allseits bekannt und durchaus ernst zu nehmen. Mit Blick auf die oben gezeigte statistische Realität der Gender Gaps lässt sich jedoch vermuten, dass sich Arbeit für Frauen oftmals deutlich weniger lohnt als für Männer. Verbesserte finanzielle Anreize und eine höhere Wertschätzung der Erwerbsarbeit von Frauen sind wichtige Hebel für eine Gleichstellung am Arbeitsmarkt. Welche finanziellen Fehlanreize es derzeit gibt und was dagegen getan werden kann, ist Thema des folgenden Abschnitts.
Das Steuersystem begünstigt die traditionelle Rollenverteilung einer Alleinverdiener-Ehe.
Das deutsche Abgaben- und Transfersystem führt zu einer hohen marginalen Steuerbelastung von Zweitverdiener:innen. Damit begünstigt es das traditionelle Rollenbild eines Alleinverdieners in der Ehe. Im Zuge der gemeinsamen Veranlagung zur Einkommenssteuer bei Verheirateten oder Verpartnerten sorgt das Ehegattensplitting dafür, dass durch den progressiven Steuertarif die Steuerlast des Paares geringer ausfällt als bei zwei unverheirateten Personen mit gleichen Einkommen. Der Splitting-Vorteil ist umso größer, je stärker sich das Einkommen auf nur eine Person konzentriert. Darüber hinaus bewirkt das Ehegattensplitting, dass beide Partner:innen demselben Grenzsteuersatz unterliegen. Somit fällt die Steuerlast auf jeden hinzuverdienten Euro für beide Partner:innen gleich hoch aus. In einem Alleinverdiener:innen-Haushalt steht der bzw. die Alleinverdiener:in in der Regel im Vollerwerb und unterliegt einem entsprechend hohen Grenzsteuersatz. Möchte der Partner oder die Partnerin auch eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, muss er oder sie bereits auf den allerersten verdienten Euro denselben Grenzsteuersatz entrichten wie der bzw. die Erstverdiener:in. Das setzt einen starken Fehlanreiz gegen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.
Das Konstrukt der geringfügigen Beschäftigung (Minijobs) kann diesen Sachverhalt allenfalls abmildern. Bruttoeinkommen, das Zweitverdiener:innen im Rahmen der Minijob-Regelung bis zur Höhe von derzeit 538 Euro erzielen, wird beim zu versteuernden Haushaltseinkommen nicht berücksichtigt und ist größtenteils sozialversicherungsfrei. Zwar wird damit die Hürde für den Erwerbseinstieg von potenziellen Zweitverdiener:innen beseitigt. Allerdings ist das Problem damit nur verschoben. Bruttoeinkommen, das oberhalb von 538 Euro liegt, muss ab dem ersten Euro vollständig versteuert werden und führt in diesem Bereich wiederum zu hohen Grenzbelastungen (Thode 2011). Ehegattensplitting und Minijobs setzen also starke Anreize in Richtung eines „1,25-Verdiener:innen-Modells“.
Genau das ist auch vielfach Realität in Deutschland: Frauen in Partnerschaften mit gemeinsamer Steuerveranlagung weiten ihr Arbeitsangebot häufig nicht aus oder senken es sogar. Sie konzentrieren sich neben einem Minijob auf unbezahlte Care-Arbeit, während 90 Prozent der erwerbstätigen Männer eine Vollzeitstelle ausüben (Becker 2022). Mit einem langfristigen Verbleib in scheinbar lohnenden Minijobs gehen häufig gravierende Nachteile einher, wie mangelnde Absicherung bei Jobverlust, kaum Weiterbildungs- und Aufstiegsperspektiven oder erhöhtes Altersarmutsrisiko. Ehegattensplitting und Minijobs erweisen sich dabei oft als Falle für Zweitverdiener:innen (Consiglio und Göbler 2021).
Dabei zeigt die Forschung, welche Potenziale für die Erwerbstätigkeit in einer Reform des Ehegattensplittung und der geringfügigen Beschäftigung liegen. Hier sind unterschiedliche Reformansätze denkbar, die verfassungsrechtliche Grenzen berücksichtigen und die eine zunächst entstehende Steuermehrbelastung vermeiden, indem etwa die Grundfreibeträge angehoben werden und somit zusätzliche Steuereinnahmen des Staates an die Haushalte zurückgegeben werden. Eine mögliche Variante besteht z. B. darin, Minijobs und den daran anschließenden Übergangsbereich in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln und das Ehegattensplitting in ein Realsplitting zu überführen (das bereits aus dem Unterhaltsrecht bekannt ist). Das daraus resultierende Mehraufkommen an Einkommensteuer würde über eine Anhebung des Grundfreibetrags wieder an die Haushalte zurückverteilt. Durch eine solche Reform würden etwa 140.000 neue Beschäftigungsverhältnisse in Vollzeit entstehen, davon knapp 100.000 durch das vergrößerte Arbeitsangebot von Frauen (Blömer et al. 2021).
Insgesamt unterstützen die Ehegattenbesteuerung und das System der geringfügigen Beschäftigung also eine ungleiche Verteilung der Erwerbs- und Care-Arbeit in Ehen. Die Anreize führen zu einem geringeren Arbeitsangebot der Zweitverdiener:innen und dem Verbleib im Minijob, was eine Verschärfung des Lifetime Earnings Gap sowie geringere Rentenansprüche zur Folge hat. Immer wieder wird in der Öffentlichkeit und Politik eine Reform des Steuer-, Abgaben- und Transfersystems diskutiert. Doch trotz der deutlichen steuerlichen Fehlanreize durch das Ehegattensplitting und der Minijobs (insbesondere für Frauen) ist im aktuellen Koalitionsvertrag keine grundlegende Reform angedacht. Zudem wurden die Verdienstgrenzen für Minijobs zu Beginn der aktuellen Legislatur hochgesetzt, anstatt diese Erwerbsform einzudämmen.
Weiblich tradierte Berufe erfahren geringere finanzielle Wertschätzung.
Die Branchen mit dem höchsten Frauenanteil umfassen Tätigkeiten der personenbezogenen Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialwesen (77 Prozent), Erziehung und Unterricht (71 Prozent) oder sonstige Dienstleistungen/private Haushalte (65 Prozent). Viele dieser Tätigkeiten sind für das Funktionieren der Gesellschaft unerlässlich, zeichnen sich aber durch schlechte Arbeitsbedingungen aus. Die Löhne sind vergleichsweise niedrig, die Arbeitsbedingungen unflexibel (z. B. durch Schichtarbeit, feste Öffnungszeiten oder der fehlenden Möglichkeit zum Homeoffice) und viele der entsprechenden Branchen leiden auch unter Personalmangel. Das führt zu einer Mehrfachbelastung von Beschäftigten, die oft in Teilzeit und ohne verlässliche Arbeitszeiten das fehlende Personal ausgleichen müssen.