Ein Interview von Inge Michels und Angela Müncher, mit Brigitte Munch – Schulleiterin der Gesamtschule Uerdingen.
Sie werden von Ihren Kolleginnen und Kollegen gelobt, wie Sie sich darum bemühen, dass der Aufbau der Schule von einer guten und zufriedenen Stimmung getragen wird. Auch bei unserem Schulbesuch ist uns eine große Offenheit aufgefallen. Wie gelingt Ihnen das?
Brigitte Munsch: Zum einen: Symbolisch ist es vielleicht wichtig, dass meine Tür immer offensteht, für jeden – egal, ob es ein Kollege, der Hausmeister, die Sekretärin oder eine Schülerin ist. Wir sind alle voneinander abhängig: ohne Sekretärin oder Hausmeister bin ich relativ machtlos, ohne die Kollegen erst recht. Zum anderen: Die Kolleginnen und Kollegen, überhaupt alle, die an unserer Schule arbeiten, müssen sich einfach darüber im Klaren sein: Wenn einmal etwas schiefgeht, wird das nie verurteilt! Wir sind hier mit so vielen Menschen zusammen und es werden im Laufe der Jahre immer mehr Menschen sein, die an einem Strang ziehen müssen. Dann darf, nein muss auch jeder mal sagen dürfen, was ihm nicht passt. Ich muss nicht die gleiche Meinung haben, aber ich sollte die Meinung akzeptieren und versuchen, ihr in irgendeiner Form gerecht zu werden. Im Grunde versuchen wir alle, auch nach Meinungsverschiedenheiten noch fröhlich auseinanderzugehen und keinen unnötigen Stress zu machen.
Eine Schule im Aufbau hat viele Baustellen. Die pädagogische Arbeit ist sicher auch mit Unruhe und in jedem Fall mit Mehrarbeit verbunden. Woran merken Sie, ob sowohl die Kinder als auch die Lehrkräfte trotz des bewegten Alltags gerne an die Gesamtschule Uerdingen kommen?
Brigitte Munsch: Die Frage kann ich Ihnen sofort mit zwei Beispielen beantworten, die mich immer wieder sehr froh machen. Erstes Beispiel: Dienstags und freitags haben wir unsere kurzen Tage, da ist früher Unterrichtsende. Ich finde, es kann nichts Schöneres passieren, als wenn die Kinder ins Sekretariat kommen und fragen, ob sie zu Hause mal eben anrufen dürfen; sie würden gerne länger bleiben. Wir bieten an den kurzen Tagen eine Betreuungsgruppe an und dann bleiben die Kinder eben länger. Und das zweite Beispiel: Wenn ein Kollege sagt, er bleibt noch eine Stunde hier, weil er mit einem Kollegen, der noch unterrichtet, etwas besprechen möchte, dann finde ich das großartig. Oder letztens sagte eine Kollegin: "Ich glaube, Kollegin XY hat die Vertretung vergessen. Ich übernehme das mal, denn ich habe eine Springstunde." Also: Wer bietet denn seine Springstunde an? Die gute Stimmung in der Schule hat mich auch darin bestärkt, dass es richtig war, so eine lange Fortbildung wie Vielfalt fördern mit allen durchzuziehen. Sie schweißt uns zusammen! Aber da fällt mir noch etwas ein: Alle Kolleginnen und Kollegen waren in den Sommerferien eine ganze Woche vorher da, um das Schuljahr vorzubereiten. Toll, oder? Das sieht übrigens auch die Elternschaft, selbst das Dezernat sieht das.
Manche Schulleitung würde vielleicht sagen: Wir haben mit dem Aufbau der Schule schon so viel zu tun! Mit einer zweijährigen Fortbildung wie Vielfalt fördern warten wir lieber, bis der Schulbetrieb eine gewisse Routine erreicht hat. Sie sahen das ganz anders.
Brigitte Munsch: Genau, ich fand es wichtig, dass ich ein Projekt an meiner Schule habe, an dem das ganze Kollegium teilnahm und das eine Richtung vorgibt, die ich vertreten kann. Ich brauchte keine Moderatoren für unseren Schulentwicklungsprozess zu suchen und hatte einen ganz klaren Fahrplan.
Es gab die vier Module, hinter denen ich voll stehe: Sie sind wichtig für die Schule. Sie gehören, um ein Bild zu benutzen, zu einer Perlenkette, die durchlaufen werden muss. Wenn ich dieses terminliche Raster von draußen nicht gehabt hätte, dann hätten wir geschoben, dann hätten wir das eine Mal gesagt: Das passt wirklich nicht, das lassen wir noch mal ausfallen – oder: Das Thema nehmen wir uns für nächstes Jahr vor. Aber den Rahmen und die Vorgaben zu haben, das war schon Gold wert.
Konnten Sie auch Ihre eigenen Vorstellungen einbringen?
Brigitte Munsch: Ja, ich konnte immer sagen: "Liebes Kollegium, das ist mir jetzt wichtig und wenn ihr dafür zu wenig Zeit habt, dann müssen wir Wege suchen, denn wenn wir das jetzt nicht einspielen, dann ist es verloren." Deswegen habe ich mich, wie Sie schon andeuteten, ganz bewusst für diese Fortbildung entschieden. Sie ist richtungsweisend für meine Vorstellung von Schulentwicklung. Ich sah trotz Zeitknappheit, die ich natürlich auch hatte, die Chance, meinem Kollegium das mitzugeben, was ich ihm mitgeben wollte: eine Schule für alle Kinder zu gestalten. Die Moderatoren haben sich wirklich auf vieles eingelassen, die haben oft mit sich selber gerungen, weil ich nicht locker gelassen habe.
Hat Sie die schulfachliche Aufsicht unterstützt, Vielfalt fördern anzubieten?
Brigitte Munsch: Eindeutig ja. Und nicht nur das. Ich habe insgesamt ein gutes Verhältnis zu unserem Dezernenten und kann offen mit ihm besprechen, was ich brauche. Diese Fortbildung gehörte unbedingt dazu. Manchmal sagt er natürlich: "Das geht nicht, das wissen Sie doch." Aber dann sage ich immer: "Ein Versuch ist nicht strafbar." Er unterstützt mich vor allen Dingen bei der Zusammensetzung des Kollegiums. Er schaut, dass ich eine möglichst passende Kollegin oder einen Kollegen bekomme, wenn zum Beispiel eine Funktionsstelle ausgeschrieben ist, und nicht irgendjemanden. Da kann ich mit ihm sehr offen sprechen – und das macht das Leben leichter.
Bei Vielfalt fördern ist der Teamgedanke substanziell für den Erfolg der Fortbildung. Hilft Ihnen konkret das Implementieren von Teamstrukturen beim Aufbau der Schule?
Brigitte Munsch: Eindeutig ja! Ich schaue darauf, dass wir erfahrene Kollegen mit Neueinsteigern zusammenbringen. Hier spielen zum Beispiel Erfahrungen in der Elternarbeit eine Rolle, auch solche im Klassenmanagement. Am Anfang haben wir auch darauf geachtet, dass in möglichst jeder Klasse eine Gesamtschulkollegin bzw. ein Kollege mit jemandem aus einer anderen Schulform zusammen unterrichtet. Und dann gibt es ja neben dem Klassenteam auch noch das Jahrgangsteam. Darin steckt natürlich noch mehr Kompetenz und Vielfältigkeit. Aber entscheidend ist zunächst einmal, dass die beiden Klassenleitungen gut miteinander auskommen. Ich achte sehr genau darauf, dass die Stimmung gut bleibt. Für mich ist das Wichtigste, dass die Kolleginnen und Kollegen gerne hierhin kommen und arbeiten. Sonst werden sie krank.
Woran orientieren Sie sich, wenn Sie Teams bilden?
Brigitte Munsch: Es gibt natürlich bestimmte Zwänge. Ich kann zum Beispiel nicht Kollegen mit den gleichen Fächern in ein Klassenteam setzen. Aber grundsätzlich kann ich nur sagen: Ich habe ja alle Menschen vorher gesehen, bevor ich ein Klassenteam bilde. Dann versuche ich, den richtigen Blick zu haben. Wer passt zusammen und wer nicht? – so lautet die entscheidende Frage. Das kann natürlich auch mal schiefgehen.
Ist das schon einmal passiert?
Brigitte Munsch: Ja, und dann haben wir das Team auch getrennt, allerdings erst zum Schuljahresende. Ich habe gesagt: "Das Schuljahr müsst ihr noch professionell durchstehen, anders geht das nicht. Bis dahin schauen wir, wo wir euch Erleichterung schaffen können." Dann haben wir ein wenig am Stundenplan geruckelt und am Ende des Schuljahres haben wir das Team personell neu aufgestellt. Das Allerwichtigste ist eigentlich, dass man spricht und fragt: "Was klappt, was klappt nicht?" Und wenn es an einer Stelle hakt: "Wo können wir helfen?" Wie jemand mit Spannungen und Differenzen umgehen kann, hat ja auch etwas mit dem jeweiligen Menschen zu tun. Ich möchte nicht einfach antworten: "Schule ist kein Wunschkonzert."
Dann müssen Sie auf viele Facetten achten.
Brigitte Munsch: Genau – und es gelingt nicht überall supergut, aber es sollte zumindest einfach gut sein. Manchmal unterscheiden sich auch die Einschätzungen darüber, wie gut ein Team funktioniert. Mancher Kollege ist zurückhaltend und sagt, es läuft einigermaßen, der andere spricht dagegen von einem Dreamteam. Manche äußern sich sehr offen, andere verschlossener. Das Entscheidende ist, dass ich konkret nachfrage, wenn ich den Eindruck habe, es könnte ein Problem geben.
Bei einer Schule im Aufbau greift noch nicht jedes Rädchen ins andere. Wie reagieren Sie, wenn sich eine Unstimmigkeit nicht so leicht bereinigen lässt?
Brigitte Munsch: Kenne ich. Wir hatten einmal so eine Situation. Da habe ich einfach gesagt: "Passt auf, wir haben nicht nur Beratungslehrer für Kinder, sondern auch für euch. Ich möchte, dass ihr das Angebot wahrnehmt und mindestens ein Beratungsgespräch führt." Das haben die Kollegen auch gemacht – und seitdem geht es gut.
Es dauert sicher noch einige Zeit, bis sich Alltagsroutinen eingespielt haben. Wenn es einmal besonders anstrengend wird: Haben die Lehrerinnen und Lehrer dann die Möglichkeit, sich zurückzuziehen?
Brigitte Munsch: Bei uns zu arbeiten, ist kein Spaziergang, das stimmt. Manche Kollegen sind ganz schön geschafft, wenn sie am Ende eines langen Tages das Gebäude verlassen, so um 15.40 Uhr oder später. Das sehe ich, wenn sie zum Parkplatz gehen, zwei Taschen mit Unterlagen am Arm und so leicht gebeugt … Und dann kommt man nach Hause und hat noch nicht korrigiert oder den Unterricht vorbereitet … Aber zu Ihrer Frage: Nein, wir haben keinen richtigen Ruheraum, aber wir konnten jetzt einen Lehrerarbeitsraum einrichten. Dort hat man wirklich viel Platz, auch Ruhe, denn es gilt ein Sprechverbot. Das war zwar ein Gewöhnungsprozess, aber mittlerweile herrscht dort eine ruhige Arbeitsatmosphäre, es ist ganz still – und das ist schon mal eine Erleichterung.