Die „Konferenz zur Zukunft Europas" startet am 9. Mai 2021. Die EU-Institutionen wollen Bürger:innen aus allen EU-Ländern auf eine noch nie dagewesene Weise beteiligen. Europäer:innen können bis 2022 ihre Meinungen, Ideen und Empfehlungen zur Zukunft Europas äußern. Die „Konferenz zur Zukunft Europas" wird nur dann ein Erfolg, wenn neue grenzüberschreitende Beteiligungsformen umgesetzt und Diskussionen zwischen Bürger:innen und Politiker:innen nicht allein auf den nationalen Diskursraum beschränkt werden.
Wir zeigen in unserem SHORTCUT, wie Transnationale Bürgerdialoge funktionieren, ganz egal ob als physische Veranstaltung oder digital.
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Transnationale Bürgerdialoge: Die digitale Welt macht’s möglich
„Großartig, dass ich so viele Europäer kennengelernt habe. Wir konnten online von Angesicht zu Angesicht miteinander sprechen und gemeinsam Ideen entwickeln - das war faszinierend,” so ein Teilnehmer des von der EU-Kommission und der Bertelsmann Stiftung organisierten transnationalen Bürger-
dialogs. Der Dialog mit 100 zufällig ausgewählten Bürger:innen aus Dänemark, Deutschland, Irland, Italien und Litauen wurde vom 27.-30. Oktober 2020 durchgeführt - vollständig digital.
Bürger:innen aus fünf Ländern arbeiteten über drei Tage hinweg online auf Zoom zusammen. Unterstützt durch Moderator:innen und Simultandolmetscher:innen diskutierten sie in fünf Sprachen - jeder in der Eigenen - über die demokratische, digitale und grüne Zukunft Europas. Sie lernten von Expert:innen, erarbeiteten in transnationalen Gruppen gemeinsame Ideen und Vorschläge und diskutierten diese mit den EU-Kommissaren Margrethe Vestager und Virginijus Sinkevičius.
Dieser Bürgerdialog steht in einer Reihe von Dialogen, die von der EU-Kommission und der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurden. Ziel war es, neue Formen zu testen – inklusiv, deliberativ und transnational. Das Projekt zeigt: Europäische Beteiligungsformate mit Bürger:innen aller EU-Mitgliedstaaten sind möglich, sowohl physisch als auch digital.
Dieser SHORTCUT zeigt, wie transnationale digitale Bürgerbeteiligung in mehreren Sprachen funktioniert.
- Zufallsauswahl in europäischen Ländern starten: Die Planung startet mindestens acht Wochen vor dem Event. Wie soll die Mischung der Teilnehmenden aussehen? Welche Länder mit welchen Sprachen sollen dabei sein? Gibt es Dienstleister für die Rekrutierung in allen Ländern? Die Teilnehmenden erhalten praktische Hinweise und ein Digital-Training.
- Online-Technik mit Dolmetschtool verbinden: Für den Dialog wurde ein Dolmetschtool an das Videotool (Zoom) angedockt. Nicht nur im Plenum gibt es mehrere Sprachen, sondern in jeder der parallel stattfindenden Gruppen. Integriert werden zudem multilinguale Umfragen für Plenum und Kleingruppen.
- Rollen klären: Die Rollen müssen für alle Beteiligten klar definiert werden. Techniker:innen kümmern sich um die Verknüpfung von Video- und Dolmetschtools. Sie überprüfen laufend die Technik in jeder einzelnen Gruppe und bieten telefonische Hotlines an. Jede Gruppe hat Dolmetscher:innen und Moderator:innen. Ein detailliertes Moderations- und Technikkonzept schafft Transparenz über das Zusammenspiel und den zeitlichen Ablauf.
- Ohne Testläufe klappt es nicht. Spezialtrainings für Dolmetscher:innen und Moderator:innen und mehrere Proben mit allen Beteiligten sorgen dafür, dass jeder die eigene Rolle qualifiziert ausüben kann.
Unser Tipp: Geduld haben und gelassen bleiben
Fünf Faktoren für eine gute Qualität der Diskussion und der Ergebnisse
- Diversität der Teilnehmenden: Durch Unterschiede in Wissen, Erfahrungen und Meinungen fließen unterschiedliche Perspektiven in die Diskussion ein und bereichern diese.
- Verständigung in der eigenen Sprache: Simultandolmetschung in den (kleinen) digitalen Gruppenräumen ermöglicht den Teilnehmenden, leicht über Sprachbarrieren hinweg miteinander kommunizieren und vertiefte Diskussionen führen zu können. Das Verfahren unterstützt strukturierte Dialoge, da es Disziplin und gegenseitige Rücksichtnahme fördert.
- Struktur und Abwechslung: Ein klar strukturierter Ablauf gibt allen Beteiligten Orientierung. Er sorgt für gemeinschaftliches und zielgerichtetes Arbeiten und gewährleistet, dass ein gemeinsames Ergebnis am Ende erreicht wird. Durch kurze und abwechslungsreiche Beiträge, vielfältige Methoden zur Interaktion und Aktivierung aller sowie kleine Pausen wird die Konzentration hochgehalten.
- Moderation und Konsens: Professionelle Moderator:innen sorgen dafür, dass die Struktur eingehalten wird, dass jede/r gleichberechtigt zu Wort kommt und die Diskussionen respektvoll und fair ablaufen. So kann sich jede/r einbringen und die Diskussion wird fokussiert auf die Erarbeitung gemeinsamer Vorschläge.
- Expert:innenwissen und Information: Expert:innen sind online live dabei und unterstützen die Bürger:innen. Faktenbasierte Informationen der Expert:innen ergänzen das Wissen der Teilnehmenden und versachlichen die Diskussionen. Sie helfen bei Abwägungen und gewährleisten, dass sich überzeugende Argumente und Vorschläge durchsetzen.
Transnationale Bürgerdialoge stärken die EU-Demokratie
In der EU gibt es kaum Möglichkeiten für Bürger:innen, sich direkt an Politikgestaltung zu beteiligen. EU-Institutionen konsultieren regelmäßig Interessengruppen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Verbände. „Normale“ EU-Bürger:innen mit ihren Interessen, Ideen und Vorstellungen bleiben meist außen vor.
Transnationale Bürgerdialoge eröffnen hier neue Möglichkeiten. Bürger:innen aus mehreren europäischen Ländern erhalten eine gemeinsame Stimme. Sie adressieren ihre kollektiv erarbeiteten Vorschläge zu europäischen Themen direkt an europäische Politiker:innen. Bürgerdialoge haben nur eine beratende Funktion. Aber die Politik gewinnt zusätzliche Perspektiven.
Deliberative und transnationale Bürgerdialoge wirken polarisierenden politischen Debatten und dem populistischen Propagieren simpler Lösungen entgegen. Durch den transnationalen Charakter und die konsensorientierten Diskussionen werden europäische Themen differenziert beleuchtet. Unterschiedliche Perspektiven, Sachinformationen und Argumente stehen im Mittelpunkt.
Für europäische Themen braucht es europäische Debatten – auch zwischen EU-Bürger:innen mehrerer EU-Länder.
So wie es lokale Debatten für lokale Themen braucht und nationale Debatten für nationale Themen, braucht es europäische Debatten für europäische Themen. Für Europapolitiker:innen ist es selbstverständliche Praxis, gemeinsam mit Kolleg:innen aus anderen Mitgliedstaaten über die Gestaltung Europas zu diskutieren. Auch europäische Bürger:innen sollten Räume haben, um länderübergreifend miteinander zu diskutieren. Transnationale Bürgerdebatten sind nicht lediglich die Summe von rein nationalen Debatten. Gerade der europäische Austausch führt zu genuin europäischen und gemeinsamen Ideen und Lösungen.
Transnationale Bürgerdialoge. Was bringt’s?
Evaluationen zeigen: Transnationale Bürgerdialoge erhöhen das Verständnis der Bürger:innen für Europa. Europäer:innen lernen die Perspektiven der anderen hautnah kennen. Ihre Haltung gegenüber europäischer Politik verändert sich zum Positiven. Ihre Politikvorschläge sind mehr als die Summe von Einzelmeinungen. Das Streben nach gemeinsamen europäischen Lösungen steht im Vordergrund. Politiker:innen erfahren so direkt aus erster Hand, was Europäer:innen, die die Vielfalt der europäischen Gesellschaft widerspiegeln, gemeinsam wichtig ist.
Die Europäischen Institutionen haben eine „Konferenz zur Zukunft Europas“ angekündigt. Bürger:innen aus ganz Europa sollen auf eine noch nie dagewesene Art und Weise beteiligt werden. Wichtig ist: Der Ansatz muss ein genuin europäischer sein. Digitale und transnationale Austauschformate sind erst ein Anfang in der Entwicklung einer neuen Partizipationsarchitektur für die EU.
Message to go:
Autoren
Anna Renkamp
anna.renkamp@bertelsmann-stiftung.de
Tel: +49 (5241) 81-81 145
Dr. Dominik Hierlemann
dominik.hierlemann@bertelsmann-stiftung.de
Tel. +49 (5241) 81-81 537
Demokratie und Partizipation in Europa (bertelsmann-stiftung.de)
Weiterführende Literatur
Beispiele und Literatur für die Praxis
Next level EU citizen participation.Transnational digital dialogue with citizens from Denmark, Germany, Ireland, Italy and Lithuania, Bertelsmann Stiftung, 2020
Europawerkstatt zur Zukunft Europas mit polnischen, französischen und deutschen Bürgerinnen und Bürgern, Bertelsmann Stiftung, 2020
Digitaler Bürgerdialog Trinationaler Eurodistrict Basel. Corona und das Zusammenleben in der trinationalen Grenzregion Basel, Staatsministerium Baden-Württemberg, 2020
Neue Wege für mehr Bürgerpartizipation in Europa. Grenzüberschreitende
EU-Bürgerdialoge in Frankfurt/Oder, Passau und Den Haag, Bertelsmann Stiftung, 2019
Impressum
Zukunft der Demokratie
© März 2021 Bertelsmann Stiftung
Bertelsmann Stiftung | Carl-Bertelsmann-Straße 256 | 33311 Gütersloh
www.bertelsmann-stiftung.de
Verantwortlich:
Dr. Dominik Hierlemann, Anna Renkamp, Dr. Robert Vehrkamp
Titelbild: © Besim Mazhiqi, Freelance photographer
Die Reihe shortcut präsentiert und diskutiert interessante Ansätze, Methoden und Projekte zur Lösung demokratischer Herausforderungen in einem komprimierten und anschaulichen Format. Das Programm Zukunft der Demokratie der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht es in unregelmäßigen Abständen.
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Gefördert (teilweise) durch einen Zuschuss der Stiftung Open Society Institute in Zusammenarbeit mit der OSIFE der Open Society Foundations. Unterstützt (teilweise) durch einen Zuschuss der King Baudouin Foundation.