Autofenster, an dem ein Wahlkampfplakat von Nikol Paschinjan klebt

Antikorruption im Südkaukasus - Bedeutung für Demokratie und Rechtsstaat

Rechtsstaatlichkeit als fundamentale Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie, für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und stabilen Frieden ist für viele Bürgerinnen und Bürger in Europas Peripherie noch immer ein Wunschtraum. Transformationsberichte führen regelmäßig Korruption als einen entscheidenden Störfaktor an.

Inhalt

Das Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft (ÖP) am 18. Juni 2020 erörterte virtuell die strategische Bedeutung der Partnerschaft. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich auf fünf Prioritäten, darunter gute Regierungsführung. Auf dem für März 2021 als Präsenztreffen geplanten nächsten ÖP-Gipfel werden dann langfristige Ziele für eine Politik der ÖP nach 2020 gebilligt und neue Zielvorgaben zwischen den Mitgliedstaaten und den östlichen Partnern vereinbart.

Eine Grundlage dafür ist die Gemeinsame Mitteilung der Europäische Kommission und ihres Außenbeauftragten vom 18. März 2020. Sie beginnt mit dem Aufruf, „Regierungsführung“ signifikant zu verbessern: „vor allem Rechtsstaatlichkeit, den Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität sowie die Rolle unabhängiger Medien und der Zivilgesellschaft“ (Punkt 3).

Der Rat hat am 11. Mai dieses Jahres in seinen Schlussfolgerungen zu einer Politik der ÖP nach 2020 als weitere Grundlage die „gemeinschaftliche Verpflichtung“ bekräftigt, einen „gemeinsamen Raum der Demokratie, des Wohlstands und der Stabilität zu schaffen“ (Punkt 2).

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionskontrolle bedingen einander. Und nicht zuletzt ist Rechtsstaatlichkeit ein wesentlicher Aspekt von Konfliktminderung und Friedenssicherung.

Prof. Dr. Christian Kastrop, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Die vorliegenden Länderberichte beschreiben und analysieren Antikorruptionsreformen in Armenien, Aserbaidschan und Georgien und deren Auswirkungen, ob es um gute Regierungsführung und politische Teilhabe geht, um Verwaltungsreform, Justiz und Strafverfolgung oder um Wettbewerb, Entrepreneurship, Eigentumsrechte, Gesundheit oder Bildung.

Fast jeder der untersuchten Bereiche verdiente eine eigene Studie. Gleichwohl haben wir uns für eine übergreifende Analyse entschieden - um abzubilden, wie komplex Korruption ist und wie direkt die Menschen in nahezu allen Lebensbereichen davon betroffen sind. Ein abschließender Vergleich der drei Südkaukasus-Länder ist aufschlussreich, weil sie sich nach ihrer Unabhängigkeit zu Beginn der 1990er-Jahre unterschiedlich entwickelt haben und jedes der drei Länder einen anderen Umgang mit Korruption hat.

Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Antikorruption sind aus unserer Sicht kaum voneinander zu trennen – sie gehen Hand in Hand. Die Rechtsstaatsförderung ist dabei zugleich Querschnittsthema und eine der wichtigsten Grundlagen für die nachhaltige Bekämpfung der Korruption.

Jens Deppe, Seniorfachplaner der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)

Die Erfolge des „Anti-Korruptionschampions“ Georgien sind nur teilweise nachhaltig. Nachdenklich stimmt angesichts großer materieller und finanzieller Unterstützung Brüssels auch das Ergebnis einer Umfrage des renommierten Caucasus Research Resource Center. Nur ein Prozent aller Georgierinnen und Georgier sehen die EU als „Freund“. Eine Umfrage des Projekts EU NEIGHBOURS east hinterlässt freilich einen gänzlich anderen Eindruck: Eine Zweidrittelmehrheit der Georgier schätzt die Beziehungen der EU und Georgiens als gut ein, und eine deutliche einfache Mehrheit spricht der EU das Vertrauen aus.

In Armenien beeindrucken die politische Öffnung und das gesellschaftliche Engagement. Vor diesem Hintergrund ist nur schwer nachzuvollziehen, wenn die deutsche Bundesregierung die bilaterale staatliche Zusammenarbeit mit Armenien auslaufen lassen will – genau zu der Zeit, während eine Tür für Reformen und Modernisierung weit offen steht.

Bemerkenswert in Aserbaidschan ist der Rückgang von Alltagskorruption. Allerdings bedeute das nicht, so die Analyse der Autorin der Länderstudien, dass der Staat dem Bürger mehr Teilhabe eröffnet, sondern diene dem Machterhalt. Es wird zu beobachten sein, ob sich Baku in ähnlicher Absicht um internationale Anerkennung bemüht oder sich dem Multilateralismus verpflichtet.

Epochale Krisen, wie die durch die Corona-Epidemie ausgelöste, verschärfen vorhandene Fehlentwicklungen. Doch entsteht in Krisen auch die Bereitschaft, politische Impulse aufzugreifen und dysfunktionale Strukturen zu verändern. Sie sind daher ein Grund mehr, unseren Blick auf gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Antikorruption in unserer Nachbarschaft zu richten.

Kein Land lässt Korruption hinter sich wie ein menschlicher Organismus die Zeit der Kinderkrankheiten. Europa und Deutschland sollten sich weiter engagieren, wenn sich in ihrer Peripherie Korruption als zentrales Entwicklungshindernis zeigt und der Rechtsstaat nicht garantiert ist.

Miriam Kosmehl, Senior Expert Osteuropa der Bertelsmann Stiftung