Ökologisches Produkt und Verpackung

Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung rückläufig: Der Staat nutzt sein Transformationspotenzial bislang nicht aus

Der deutsche Staat beschafft jedes Jahr im großen Umfang Waren und Dienstleistungen. Das selbst gesteckte Ziel: Nachhaltigkeitskriterien sollen eine entscheidende Rolle für die Vergabe sein, damit auch die öffentliche Beschaffung die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit anschiebt. Aktuell werden auf kommunaler Ebene jedoch nur 13,7 Prozent der Aufträge unter Einschluss von Nachhaltigkeitskriterien vergeben – Tendenz sinkend! Das ergibt eine aktuelle Studie der Universität der Bundeswehr München im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.

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Marc Wolinda
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Der Staat kauft auf allen Ebenen jedes Jahr für schätzungsweise 350 bis 550 Milliarden Euro Waren und Dienstleistungen ein. Er setzt also nicht nur mit Gesetzen und Förderinstrumenten die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, sondern tritt über die öffentliche Beschaffung auch selbst als Marktteilnehmer mit einem großen Budget auf, das bis zu 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Durch die öffentliche Beschaffung kann der Staat die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft also entscheidend unterstützen. Die Hälfte aller Vergaben findet dabei auf der kommunalen Ebene statt.

Dieses Potenzial wird von der Politik bereits seit zwei Jahrzehnten gesehen und es wurden entsprechende Nachhaltigkeitsziele für die öffentliche Beschaffung auf verschiedenen Ebenen definiert. So gab beispielsweise die Europäische Kommission bereits im Jahr 2008 das Ziel aus, dass bis zum Jahr 2010 mindestens die Hälfte aller Ausschreibungsverfahren umweltorientiert sein sollten. Und auch die aktuelle Bundesregierung hat das Thema "Nachhaltige öffentliche Beschaffung" in ihrem Koalitionsvertrag verankert.

Eine jetzt veröffentlichte Studie der Universität der Bundeswehr München im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt jedoch, dass es eine große Lücke zwischen den politischen Zielen für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung ("Intention") und der tatsächlichen Umsetzung ("Action") gibt. Im untersuchten Zeitraum von 2011 bis 2023 wurden von den Kommunalverwaltungen insgesamt nur 17,1 Prozent der Aufträge mit Nachhaltigkeitskriterien vergeben.

Es ist erstaunlich: Obwohl Nachhaltigkeit im öffentlichen Diskurs immer wichtiger wird, sind die unter Nachhaltigkeitsaspekten vergebenen Aufträge durch die Kommunen zwischen 2012 und 2023 von 23,3 Prozent auf 13,7 Prozent massiv zurückgegangen.

Marc Wolinda, Nachhaltigkeitsexperte der Bertelsmann Stiftung

Die Studie beschreibt aber nicht nur den Ist-Zustand, sondern auch mögliche Ursachen für diesen "Intention-Action-Gap" sowie Lösungsansätze zur Überwindung der Lücke zwischen politischen Ambitionen und Umsetzung. Sechzehn Defizite wurden identifiziert, die sich auf vier Felder verteilen:

  1. Recht und Regulierung
  2. Management und Strategie
  3. Strukturen und Prozesse
  4. Märkte und Anspruchsgruppen

Insgesamt konzentrierten sich die Defizite im Ursachenfeld "Management und Strategie". So bemängeln die Autor:innen der Studie etwa besonders Defizite beim Professionalisierungsgrad der Beschaffer:innen. Häufig sei das zuständige Personal nicht ausreichend für eine strategische und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Beschaffung ausgebildet.  Wenngleich es auch im Feld der rechtlichen Rahmenbedingungen noch Optimierungspotenzial gibt, so liegt das Kernproblem für mehr Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung eindeutig nicht in mangelnden gesetzlichen Möglichkeiten, sondern in der Umsetzung in den Vergabestellen.

Es ist wichtig, dass die Beschafferinnen und Beschaffer auf allen Verwaltungsebenen die Rahmenbedingungen vorfinden, um Vergaben stärker nach Nachhaltigkeitsaspekten auszurichten und das Thema und sich selbst stetig weiterzuentwickeln.

Daniel Schraad-Tischler, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung

Diese Rahmenbedingungen gilt es für die umsetzenden Verwaltungsmitarbeiter:innen vor Ort zu schaffen, beispielsweise über Aus- und Weiterbildung, klar formulierte Strategien und Zielvorgaben sowie eine motivierende Kommunikation der Führungskräfte. Auch die Einführung von Routinen und Standards sowie die Zentralisierung durch Bündelung von Kompetenzen auf einer höheren Verwaltungsebene (zum Beispiel Kreis für mehrere Gemeinden) können wirkungsvolle Maßnahmen sein, damit die Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung in Zukunft einen deutlich höheren Stellenwert einnimmt und der Staat seiner Verantwortung für die Nachhaltigkeitstransformation gerecht wird.

Studie