Die Wirtschaft der Ukraine befindet sich infolge des militärischen Konflikts im Osten des Landes in einer desolaten Lage. Wie kann sie reformiert und zurück auf den Wachstumspfad gebracht werden? Dies war die zentrale Frage einer Veranstaltung, die am 15. April 2015 in Brüssel stattfand.
Nach der Begrüßung der rund 130 Teilnehmer durch den Moderator Wolfgang Schüssel, Kuratoriumsmitglied der Bertelsmann Stiftung, führte Joachim Fritz-Vannahme in die Thematik ein. Der Direktor des Programms Europas Zukunft der Bertelsmann Stiftung forderte, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik angesichts der zahlreichen Konflikte, die die EU umgäben, radikal reformiert werden müsse. Länderspezifische Ansätze seien erforderlich. Anschließend sprach der für die Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn. Er erklärte, dass die EU keine exklusiven Wirtschaftsbeziehungen mit der Ukraine suche. Hahn sprach sich dafür aus, dass die Ukraine auch ihre Handelsbeziehungen mit Russland weiter vertiefen sollte. Dies sei aus seiner Sicht kein Widerspruch. Das umfassende Freihandelsabkommen der EU mit der Ukraine sollte jedoch zügig ratifiziert werden. Eine Neuverhandlung stehe nicht zur Debatte.
Für trilaterale Gespräche von EU, Ukraine und Russland
Michael Landesmann vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) stellte danach die Ergebnisse der von der Bertelsmann Stiftung und dem Think Tank United Europe gemeinsam veröffentlichten Studie „How to stablise and reform Ukraine's economy“ vor. Die Studie enthält vier zentrale Empfehlungen, um der ukrainischen Wirtschaft Wachstumsimpulse zu geben:
- Reduzierung der Militärausgaben und Fokus auf öffentliche Investitionen
- Eindämmung des Einflusses der Oligarchen
- Stärkung der Handelsbeziehungen mit Russland und der Eurasischen Union
- Mehr Anreize für ausländische Direktinvestitionen
Landesmann sprach sich im Übrigen für trilaterale Gespräche von EU, Ukraine und Russland aus, da es im ukrainischen Interesse sei, mit beiden Partnern enge Wirtschaftsbeziehungen zu unterhalten.
Klare Prioritäten für Reformen
Zwei Experten aus der Ukraine und Polen kommentierten daraufhin die Beiträge der vorangegangenen Redner. Hryhoriy Nemyria, Abgeordneter des ukrainischen Parlaments, wies darauf hin, dass die Ukraine ausreichende administrative und finanzielle Kapazitäten benötige, um die erforderlichen Reformen umzusetzen. Sollten die Reformen nicht erfolgreich sein, sei die Existenz des ukrainischen Staates insgesamt gefährdet. Unterstützung von außen sei unerlässlich und Prioritäten müssten gesetzt werden. Kernelement seien das Assoziierungsabkommen und das Freihandelsabkommen mit der EU.
Mit Energieeffizienz zu mehr Wirtschaftswachstum
Der Präsident des Warschauer Instituts für öffentliche Angelegenheiten Jacek Kucharczyk warnte vor einer Schocktherapie für die Ukraine. Stattdessen müssten stetige Wirtschaftsreformen bei gleichzeitiger Wahrung der sozialen Dimension angestrebt werden. Die Empfehlung der Studie, die Militärausgaben zu kürzen, hielt er für illusorisch. Schließlich befinde sich das Land im Krieg. Für die Ukraine könnte die Steigerung der Energieeffizienz einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten und gleichzeitig die Abhängigkeit von Russland verringern.
Frieden als unabdingbare Voraussetzung
Peter Havlik, Senior Economist beim wiiw und einer der Autoren der Studie, merkte abschließend an, dass die Studie von der Prämisse ausgehe, dass der Frieden in der Ukraine wiederhergestellt sei. Ohne Beendung der kriegerischen Auseinandersetzungen sei eine wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine unmöglich.