Multikulturelle Stadtgesellschaften wie Stuttgart und Straßburg leben auch von den Veränderungen und der Dynamik der Zuwanderung. Die Oberbürgermeister beider Städte, Fritz Kuhn und Roland Ries, berichteten nun in Stuttgart in der Debattenreihe "Welches Wachstum für Europa?", wie sie die Integration vor Ort bewerkstelligen.
Bei dem öffentlichen Gesprächsabend am 13. Oktober 2016 tauschten beide Oberbürgermeister vor etwa 300 Besuchern ihre Erfahrungen hinsichtlich der Integrationspolitik in Stuttgart und Straßburg aus. Sie betonten dabei die Wichtigkeit von Städtepartnerschaften und lokalen Lösungen.
Im Fokus der Diskussion standen aktuelle europäische Herausforderungen:
- Welche Programme und Initiativen bieten die Städte, um Flüchtlingen und Neuankömmlingen einen Zugang zu Kernbereichen des Lebens wie Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung zu verschaffen?
- Wie ermöglicht man ihnen einen aktive Teilnahme und Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Geschehen?
- Welche Schwierigkeiten ergeben sich bei der Umsetzung dieser Fragen?
- Was können die Städte in dieser Hinsicht voneinander lernen?
Multikulturelle Stadtgesellschaften wie Stuttgart und Straßburg leben auch von den Veränderungen und der Dynamik der Zuwanderung. Die Aufgabe dabei lautet Integration, aber die – da waren sich beide Bürgermeister einig – ist keine Einbahnstraße, sondern muss sowohl eine Bestrebung der Neuankömmlinge als auch der aufnehmenden Gesellschaft sein. So können langfristige Bleibeperspektiven geschaffen und eine hohe Lebensqualität erhalten werden.
Grenzüberschreitender Austausch
Am Nachmittag fanden zunächst drei Workshops, darunter ein Jugend-Workshop, statt. Interessierte Bürger bekamen die Möglichkeit, über Themen wie "Verlorene Heimat – gewonnene Heimat" und "Bürgerdialog – vor Ort agieren" zu diskutieren, Problemstellungen herauszuarbeiten und diese im späteren Verlauf der Podiumsdiskussion vor den Oberbürgermeistern zu präsentieren. Die Zusammensetzung der Workshops war dabei sehr vielfältig: Der Jugend-Workshop etwa setzte sich aus engagierten Schülern, Breakdance-Tänzern, ehrenamtlichen Helfern und Mitgliedern der Jugendräte aus Stuttgart und Straßburg zusammen.
Den Auftakt der öffentlichen Diskussion am Abend machte das Tanztheater der Gruppe Dancers across Borders. Die Gruppe besteht aus Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalitäten und Religionen, die durch das Tanztheater ihre Traumata verarbeiten und ihre Eingliederung vorantreiben. Nicolas Eybalin, Generalkonsul und Leiter des Institut français Stuttgart, hieß in einer kurzen Rede anschließend alle Teilnehmer willkommen, bevor Moderatorin Ute Brucker vom SWR die Bürgermeister auf die Bühne bat und die Podiumsdiskussion offiziell eröffnete.
Im ersten Teil der Debatte zeigte sich der Straßburger Oberbürgermeister Roland Ries sichtlich beeindruckt von den Integrationsbemühungen in Stuttgart. Von diesen konnte er sich bei einem Besuch in einer Flüchtlingsunterkunft am frühen Nachmittag selbst ein Bild machen. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn ergänzte, dass die Aufnahme von Flüchtlingen eine Frage des Anstandes sei, ganz in der Tradition des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel: "Wer hier lebt, ist ein Stuttgarter."
In beiden Städten herrscht in gewissen Teilen der Population jedoch auch eine Ablehnung gegen die Flüchtlingsströme. Roland Ries merkte hierzu an, dass wir uns aktuell in Europa in einer paradoxen Situation befänden: Noch nie waren wir so abhängig voneinander wie in der jetzigen Zeit und trotzdem üben sich viele Länder und Bevölkerungsgruppen in nationaler Abschottung und in Angst vor dem Fremden
Daher sei es unumgänglich, so die Oberbürgermeister unisono, dass nicht die Politik allein die Integration der zugewanderten Mitbürger stemme, sondern dass eine breite Öffentlichkeit ihren Teil dazu beitrage. Fritz Kuhn gab an, dass eine Integration der Flüchtlinge ohne die Unterstützung der 3500 ehrenamtlichen Stuttgarterinnen und Stuttgartern nicht möglich sei. Zudem führte er aus, dass eine dezentrale Unterbringung sich in Stuttgart als sehr erfolgreich erwiesen habe.
"Europa soll Freude bereiten und das soll auch so bleiben."
Im zweiten Teil der Veranstaltung wurden Repräsentanten aus den drei Workshops auf die Bühne gebeten, die ihre erarbeitenden Anregungen vor den Oberbürgermeistern präsentieren konnten. Das Ergebnis war einhellig, dass noch mehr Orte der Begegnung geschaffen werden müssen, zum einen um Neuankömmlinge und alteingesessene Bürger zusammenbringen, zum anderen um Kulturschaffenden im Bereich Jugendkultur einen Platz zu geben. Das konkrete Beispiel war die Hip-Hop-Kultur mit ihren Elementen wie Breakdance und Rap, die Jugendliche aus unterschiedlichen Backgrounds zusammenbringt und damit eine integrative Wirkung erzielen kann.
Den Schlusspunkt setzten zwei Darsteller des Theater Lux aus Freiburg. In improvisierten Szenen ließen sie den Abend Revue passieren und plädierten abschließend für mehr deutsch-französische und europäische Nächstenliebe: "L’Europe doit être un plaisir et doit le rester". Frei übersetzt: Europa soll Freude bereiten und das soll auch so bleiben.
Die Bertelsmann Stiftung war bereits zum dritten Mal an der Ausrichtung der deutsch-französischen Debattenreihe beteiligt. Zu den Projektpartnern gehören das Institut français Deutschland und das Goethe-Institut Frankreich, 2016 in enger Kooperation mit den Partnerstädten Stuttgart und Straßburg und dem Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. 2014 war die Reihe mit dem Pilotprojekt zwischen Bordeaux und München ins Leben gerufen worden und im vergangenen Jahr wurde sie zwischen den Partnerstädten Köln und Lille fortgeführt. 2017 wird die Reihe im französischen Lyon zusammen mit der Partnerstadt Leipzig fortgesetzt.
In der rechten Spalte finden Sie einen Link zur deutsch-französischen Projektseite der Debattenreihe "Welches Wachstum für Europa?" Dort ist auch der Nachbericht als Download zu finden.